Düsseldorf Helmut Dietl erzählt von der Liebe

Düsseldorf · Bis kurz vor seinem Tod schrieb der Filmemacher an seinen Memoiren. Entstanden ist ein Buch der Lebenslust.

Sein erstes Geld beim Film verdiente Helmut Dietl als Siebenjähriger. Er hatte eine Statistenrolle in einer Produktion mit O. W. Fischer, der ja ein Gigant war damals. Viel höher als Dietls Gage war indes das Honorar, das der große Star dem Jungen dafür zahlte, Fischers vier geliebte Katzen an 30 Meter langen Spezial-Leinen spazieren zu führen, die in England handgefertigt worden waren. Fünf Mark bekam Dietl für zwei Stunden. Davon konnte er sich schließlich den Kamelhaar-Dufflecoat kaufen, den er schon so lange haben wollte. Nach ihrem Ableben wurden die Katzen übrigens von O. W. Fischer persönlich in gläsernen Särgen auf dem Parkgrundstück seiner Villa mit Aussicht auf den Lago di Lugano beigesetzt.

"A bissel was geht immer" heißt dieses Buch, es ist voll von solchen Szenen, und es sind die Erinnerungen des großen Münchener Geschichtenerzählers und Filmemachers Helmut Dietl. Er hat sie zu schreiben begonnen, nachdem sein letzter Film "Zettl" 2012 so böse verrissen wurde, dass er in eine Depression rutschte, und er konnte sie nicht beenden, weil bald darauf Lungenkrebs bei ihm diagnostiziert wurde. "Krebs - das hat mir gerade noch gefehlt", soll er gesagt haben. Im März 2015 ist er gestorben.

Das ist ein Bericht aus der verlorenen Zeit, es sind die 60er und 70er Jahre, und vor dem Hintergrund von Studentenprotest und RAF-Terror erzählt Dietl von der Erziehung des Herzens. Sein Vater ist Filmhändler und meistens nicht da. Dietl wächst bei der Mutter und den Omas auf, und in der Pubertät täuscht er montags Unwohlsein vor, um nicht zur Schule zu müssen. Dann nämlich klopfen die Nachbarsfrauen draußen Teppiche aus, und diese Choreographie empfindet er als erotische Provokation. Ein galantes Initiationserlebnis, das er mit dem Fernglas verfolgt.

Der 1944 geborene Dietl erzählt mit Zuneigung von den Menschen, bei ihm werden sie als Romanfiguren vor dem Vergessen bewahrt. Sie tragen Namen wie Anneliese Abendschön und Biggi aus Waakirchen, und es ist dieser Blick auf das Leben, der Serien wie die "Münchner Geschichten" (1974), "Der ganz normale Wahnsinn" (1979), "Monaco Franze" (1983) und "Kir Royal" (1986) mit dem Auftritt von Mario Adorf als Provinz-Unternehmer Heinrich Haffenloher ("Ich scheiß dich zu mit meinem Geld") charakterisiert. Dietl hat die Art des Sprechens und der pointierten Zuspitzung dem Alltag abgeschaut und mit einer Sympathie wiedergegeben, die die meisten Karikaturisten nicht kennen.

Die Welt, die Dietl beschreibt, ist bevölkert von Schlawinern, Kussräubern und Hallodris, sie alle leben die große Freiheit, München leuchtet zwischen diesen Zeilen, und einen eigenen Film wert sind die Szenen, die in der Kneipe "Lilos Leierkasten" spielen. Sie kamen dort alle zusammen, Johannes von Thurn und Taxis ebenso wie Andreas Baader, und mittendrin saß Dietl und führte das Drama seines Lebens auf, das den Titel eines seiner späteren Filme tragen könnte: "Vom Suchen und Finden der Liebe". Einmal sieht Dietl ein kesses Mädchen, er ist noch unerfahren in diesen Dingen, und er hat Sorge, dass er sie nie wieder trifft. Er fasst sich also ein Herz, geht hin und fragt, ob sie mit ihm schlafen wolle. "Ja mei", entgegnet sie, und dann fahren sie anderthalb Stunden im Mercedes zum Bauernhof ihrer Familie. Zum Frühstück wird sie ihm am nächsten Morgen sechs Spiegeleier servieren: "Du brauchst jetzt vui Eiweiß."

Diese Eroberungsschnurren werden nicht jägerstolz wie Trophäen ausgebreitet, sondern als "education sentimentale" mit melancholischer Färbung. Reifeprüfung ein Leben lang. Dietl inszeniert sich als stolpernder Schwärmer, als naiver Romantiker, der ans Grab seines Hausheiligen Heinrich Heine nach Paris pilgert und Gedichte schreibt, die vom Insel-Verlag als "spätpubertär" zurückgewiesen werden. Als sein Vater eine Gaststätte mit Kino eröffnet, himmelt er dort Ingrid Bergman an, Liz Taylor, Sophia Loren und Lauren Bacall. Oft gerät er in Situationen wie jene mit der in Bayern sehr populären Schauspielerin Elfie Pertramer: Die Mutter einer Ex-Freundin verführt ihn beim Kaffeetrinken. "Kannst du mal kurz raufkommen", ruft sie, nachdem sie ins Schlafzimmer hochgegangen ist. Die beiden werden ein Paar, und als Dietl die neue Freundin seiner fast ebenso alten Mutter vorstellt, sagt die: "Wie halt das Leben so spielt. Prost! Auf dich und deine Elfie."

Aus den 80er Jahren gibt es nur noch Fragmente, leider, man hätte gern mehr gelesen, aber zum Glück schreibt Dietl einiges über die Entstehung von "Kir Royal". So sollte Baby Schimmerlos zunächst von Emil Steinberger, dann von Helmut Berger gespielt werden. Franz Xaver Kroetz war die Zufallsbesetzung in letzter Sekunde. "Gegenwart ist eine sich täglich neu zusammensetzende Mischung aus viel Vergangenheit und wenig Zukunft", schreibt Dietl, "und nur als solche ist sie des Nachdenkens und der künstlerischen Gestaltung wert."

Das Drehbuch für "Kir Royal" schrieb Dietl mit seinem Freund Patrick Süskind, dem Autor des Romans "Das Parfum". Süskind, der nie öffentlich auftritt, zurückgezogen lebt und kaum je Interviews gibt, steuert das Nachwort zu dem Buch bei. Er blickt von außen auf dieses Leben, verschweigt nicht Hader und Selbstzweifel, die Dietl bei aller Nonchalance und scheinbarer Lässigkeit umtrieben. Süskinds Worte sind mit Herzblut gefärbt, und zum Schluss fragt er sich, warum er befreundet gewesen ist mit diesem Menschen, der doch so anders war als er selbst. Seine Antwort: "Weil er es war, weil ich es war."

(hols)
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