Erinnerungen Eine letzte Begegnung mit Günter Grass

Hamburg · Unser Kollege Lothar Schröder traf regelmäßig Günter Grass. Zum letzten Mal vor wenigen Wochen. Er erinnert sich an einen sehr wachen, aber schutzbedürftigen Günter Grass. Und an die Geschichte mit dem Brausepulver.

Günter Grass starb mit 87 - was man über ihn wissen sollte
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Was Sie über Günter Grass wissen sollten

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Foto: afp, bb

Keine vier Wochen alt ist die letzte Begegnung mit ihm. Wir hatten uns zum Frühstück in Leipzig verabredet — bequemerweise gleich in seinem Hotel. Warum nicht. Wobei die Adresse dann doch überraschte: Günter Grass, der deutsche Literaturnobelpreisträger, logierte im "Motel One". Andere Autoren seiner Prominenz und Bedeutung reisen gar nicht erst in Städte, die kein Steigenberger oder Vergleichbares haben.

Der 87-Jährige aber saß "ganz normal" an einem dieser überschaubaren Bistrotische, an denen man keine morgendliche Ruhe genießen kann. Das störte Grass nicht im Geringsten. Auch mit den Leuten an den Nebentischen entspann sich schnell eine angeregte Unterhaltung. Ein Frühstück mit Grass, das war immer noch etwas, wovon man daheim erzählen konnte. Und als Dokument der Wahrheit ließ man sich dann noch die Frühstücksservietten (unbenutzt) signieren. Das alles hat Grass gerne getan. So wie er seinen Kritikern vehement und irrational gegenübertrat, so freundlich war er mit seinen Lesern, die es gut mit ihm meinten.

Grass war an diesem Morgen präsent, war auf der Höhe aktueller Diskussionen, kannte die Debatte ums Kopftuch, auch das Ärgernis mit "Pegida". Dass der Gesprächspartner ein alter Mann war, merkte man ihm erst bei seinem Gang zum Frühstücksbuffet an. Kleine, unsichere Schritte im großen Raum zwischen all den Menschen. Etwas gebrechlich wirkte er dann, nicht aber krank. Auch schutzbedürftig schien er zu sein, schon angesichts seiner Körpergröße.

Denn wer Grass zum ersten Mal gegenüberstand, wunderte sich zumeist, wie klein der Mann mit seinem dicken Schnauzbart doch war. Wie schmal seine Schultern. Wie zart seine Hände, obwohl er doch viele Jahre künstlerisch auch als Steinmetz gearbeitet hatte. Ein freundliches Gespräch ist es dann geworden. Grass hatte seine Meinung, ohne — wie früher manchmal - arg kämpferisch zu sein.

Die schönste, anregendste Begegnung mit ihm liegt aber schon gut zehn Jahre zurück. Das war damals im Übersetzerkollegium von Straelen. Es ging um eine Neuübersetzung der "Blechtrommel". Also echte Textarbeit, und Grass war in seinem Element. Vor allem im Gespräch mit Yang Wuneng, dem völlig ratlosen chinesischen Übersetzer.

Was das denn heißen soll: "Brausepulver"?, fragte er den Nobelpreisträger. Dieses blöde "Brausepulver" gibt es nämlich in China nicht und folglich auch keine entsprechende Vokabel dafür. Günter Grass will es partout nicht glauben. "Es muss doch in China irgendetwas geben, was prickelt!"

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Foto: dpa, pl_rh nic

Nein, in China prickelt offenbar nix. Das Problem wurde dann einfach gelöst: Man besorgte ein paar Tüten Brausepulver vom Büdchen gegenüber. "Limonade könnte man daraus machen", sagt Grass frohgestimmt. Oder es von der Hand schlecken. Oder aus einem Bauchnabel, wie Oskarchen in der "Blechtrommel".

Yang Wuneng staunt ob der Vielseitigkeit des Pülverchens; die "Blechtrommel"-Kenner samt Autor nicken vielsagend.

(los)
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