Düsseldorf Große Kunst in armen Verhältnissen

Düsseldorf · "Caligula" von Albert Camus sprengt künstlerisch das Düsseldorfer Schauspiel.

Ein paar Sätze aus dem Geschichtsbuch. Dazu Fanfaren. Auf einem rosa Trampolin springen sich die Protagonisten warm für die Tragödie. Später, wenn gemordet wird, wird's walzerselig. Der Schalltrichter am Bühnenrand ist so weit ausstülpbar, dass Menschen, Paare und ganze Kapitel der Geschichte darin verschlungen werden können. Willkommen im Universum eines Tyrannen, der als Herr Kaiser mit Allmachtsphantasien so auch heute agieren könnte. Willkommen in einem Gedankenspiel, das ein Experiment über die absolute Freiheit ist. Drei Zeiten erheben dabei Gültigkeit, das alte Rom, Algerien 1938, Düsseldorf 2018.

Albert Camus war etwa so alt wie die Titelfigur seines ersten Dramas, als er "Caligula" schrieb, ein anspruchsvolles, auch sperriges Stück, das, um nicht langweilig zu werden, enormer Bilder und großartiger Schauspieler bedarf. Diesbezüglich lässt die Premiere nichts zu wünschen übrig. Und doch ist "Caligula" zu groß geraten. Zu anspruchsvoll gedacht von dem Berliner Regisseur Sebastian Baumgarten, der für sein Denklabor einen irren Zauberkasten bereithält. Zu breit angelegt. Zu stark ausgeschmückt. Zu üppig gewürzt. Zu wild gebaut. Zu dramatisch vertont. Mit zu viel dokumentarischem Material durchmischt.

Für dieses Missverhältnis kann Baumgarten nichts. Sollte er seinen Anspruch etwa auf die armseligen Verhältnisse der Düsseldorfer Probebühne anpassen? Wenn auch die in vier Akte gegliederte Story durch die reichhaltigen Kunstgriffe der Regie mitunter zugedeckt wird, so nimmt man "Caligula" doch als ein allzeitgültiges Lehrstück der Geschichte auf. Andererseits fördert die Produktion bei aller Wucht und Intelligenz die Unzulänglichkeiten zutage, die das Schauspielhaus erträgt und tapfer zu kompensieren versucht. So düster hatte sich Intendant Wilfried Schulz bei seiner Ankunft in Düsseldorf, 2016, die Perspektiven nicht ausmalen können. Die Verhältnisse, die der noch Jahre in Anspruch nehmende Umbau des Theaters am Gustaf-Gründgens-Platz verschuldet, sind eine Zumutung. Nicht nur die Schauspieler sind frustriert. Wer als Zuschauer auf den hinteren Plätzen unterkommt auf hartem Gestühl und große Köpfe vor sich hat, kann wenig sehen. So traurig es ist: Große Kunst, Düsseldorfer Theater, spielt sich bei aller Popularität auf einer erbärmlichen Probebühne im Schatten des Hauptbahnhofs ab. Trotzdem strebt man nach dem Höchstem wie bei Caligula, für das nur das Beste vor und hinter der Bühne bestellt wurde.

Erst durch das Schicksal wird aus "Caligula" ein Mörder, Enteigner, Vergewaltiger. Aber er ist auch Träumer und Theoretiker. "Alles um mich herum ist Lüge", schreit er, und dass die Welt nicht zu ertragen sei. André Kaczmarczyk zieht mit seiner grandiosen Darstellung alle Aufmerksamkeit auf sich. Um ihn herum agiert ein oft drolliges Ensemble auf der anspielungsreichen Bühnenlandschaft von Barbara Steiner. Die beste Würze ist die coole Musik des Düsseldorfers Stefan Schneider. Am schönsten ist dann das Ende - Caligulas Monolog, in den Caesonia (Yohanna Schwertfeger) hineingrätscht. Er brüllt, dass er noch lebt. Sie singt mit beschwörendem Timbre: You never know. Der allergrößte Applaus ist die Folge.

(RP)
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