Regensburg Franziskus-Effekt beflügelt 99. Katholikentag

Regensburg · Aufbruchstimmung in Regensburg: Viele tausend Menschen feiern den Glauben und diskutieren über eine arme Kirche.

Das Staunen über die gut besuchte Vorlesung an einem Samstagmorgen. Im Gebäude der Wirtschaftswissenschaften wird über eine Frau gesprochen, die man über Jahrhunderte hinweg kleinzuhalten suchte, und darüber spricht jemand, der nach eigenen Worten so etwas auf dem Katholikentag vielleicht gar nicht sagen darf. Als Frau? Und noch dazu als Grüne?

Natürlich kokettiert Sylvia Löhrmann, doch zielen diese Vorbehalte ins Zentrum ihres biblischen Impulses. Der handelt von Maria von Magdala, der "Apostolin der Apostel", wie sie genannt wird, der einzigen sogenannten Dreifachzeugin - von Tod, Grablegung und Auferstehung; und die von der patriachalischen Kirche über Jahrhunderte hinweg verdrängt, verleugnet, diffamiert wurde. Ein Ärgernis ist sie für manche und "unerträglich für viele Männer" bis heute, so die 57-jährige stellvertretende Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen bei ihrem Auftritt auf dem Katholikentag.

Wirklich verbotene Themen gab es in Regensburg nicht - aber doch überraschende. So gab es ihn tatsächlich, den Franziskus-Effekt. Der unkonventionelle Papst war also im Geiste dabei, und er war nicht aus Pappe, aber eben auch: Die lebensgroße Aufsteller-Figur des Pontifex aus Argentinien wurde von Ort zu Ort und von Debatte zu Debatte getragen - ein ideelles wie geistliches Maskottchen des Laientreffens.

Die Frage aber, die Franziskus auch und gerade der Kirche in Deutschland aufgegeben hat, wird mit einem Katholikentag nicht beantwortet werden können. Ob nämlich am Gelde unser Seelenheil hängt und ob eine glaubwürdige Kirche auch eine arme sein muss. Es geht ans Eingemachte, und wer dazu die oft intensiv geführten Podien erlebte, konnte spüren, dass die Fragen auf allen Ebenen der Kirche angekommen sind. Dabei ist es vergleichsweise wohlfeil, mit dem Finger auf die Gier der anderen zu zeigen. Hohe Managergehälter anzuprangern - wie in Regensburg durch Sigmar Gabriel auch geschehen - ist eine alte und moralisch vergleichsweise einfache Übung. Kardinal Reinhard Marx aber stellte eine andere, beunruhigende Frage: "Leben wir so, wie uns Jesus beauftragt hat?" Und sei man erst dann eine Kirche der Armen, "wenn die Armen uns zu ihrer Kirche machen."

Dies ist längst nicht mehr ein gewünschtes, schönes Selbstbild. Es geht auch um die selbstkritische Frage nach einem fundamentalen Wirklichkeitsverlust. Leute von der kirchlichen Basis - wie die Rottenburger Sozialarbeiterin Elke Mildner - geben anschaulich Bericht davon, dass die Armen der Kirche nicht mehr trauen, schon deshalb, weil sie von ihr ausgegrenzt werden, sieht man einmal von den obligaten caritativen Angeboten ab. Inmitten des großflächigen wie perfekt organisierten Katholikentags ist die Sehnsucht nach Ursprung und Einfachheit spürbar geworden, auch vom Ende großer Theorien und einer theologisch virtuosen Sprache.

Wie unübersichtlich kirchliche Strukturen im 21. Jahrhundert geworden sind, machte wiederum Kardinal Marx deutlich, der zwar in der Kommission für die Finanzkontrolle im Vatikan sitzt, der aber trotz Nachfrage keine Angaben über das Gesamtvermögen seines Erzbistums München und Freising machen konnte. Nicht aus Verweigerung, sondern wegen unüberschaubar gewordener und verwickelter Besitzverhältnisse.

Die Aufbruchstimmung in Regensburg nährte sich aber auch aus der Erkenntnis, dass nicht nur Kirchenleitungen für die Entwicklung verantwortlich gemacht werden können. Zwar hat der Limburger Finanzskandal um den 54-jährigen Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst ein solches Schulddelegieren eher befördert; doch wurde in der Donaustadt auch der Münsteraner Theologe Klaus Müller gehört, dass in Limburg all das nicht passiert wäre, wenn es mündige Laien mit dem Selbstbewusstsein gegeben hätte, "auch einmal einen Bischof im Angesicht zu widerstehen".

Der Ruf nach mündigen Laien, verbunden mit der Papst-Kritik an einem auch tötenden Markt, hat diesen Katholikentag beherrscht. Und im Fahrwasser dieser Debatte spülte ein Thema an die Wahrnehmungsoberfläche, das man eher zur Kirchengeschichte gezählt hätte: die Ende der 60er Jahre in Lateinamerika entwickelte und begründete Theologie der Befreiung. Diese Kirche hat sich als eine Stimme der Armen verstanden und sich mitunter radikal an die Seite der Unterdrückten und Entrechteten gestellt. Papst Franziskus ist als Priester und Erzbischof von Buenos Aires zwar in Kontakt gekommen mit der Bewegung, einer ihrer Vertreter aber wurde er nicht. Und dennoch: Wenn die Armen ein Stachel im Fleisch der Kirche sind, dann ist dieser Stich mit Franziskus jetzt auch im Vatikan angekommen und in der Weltkirche aktuell geworden. Eine arme Kirche sei eine Option des Evangeliums, sagte Leonardo Steiner, Generalsekretär der Brasilianischen Bischofskonferenz. Und die populäre Missionarin Karoline Mayer bekannte: "Mich haben die Armen bekehrt."

All das sind große Aufgaben und Herausforderungen, die alles brauchen, nur keine verzagte Kirche. Und es geht ums konkrete Handeln - auch in der Rehabilitation der Maria von Magdala und der Anerkennung der Frau in der Kirche. Ein "Theoriedefizit" in dieser Frage gibt es nach Meinung des ZdK-Mitglieds Walter Bayerlein nicht.

(RP)
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