Calais Flüchtlinge aus Calais mit erstem Album

Calais · Flüchtlinge aus dem "Dschungel von Calais" haben eine CD aufgenommen. Andere spielen Theater.

In den vergangenen Jahren war aus dem "Dschungel von Calais" vieles zu hören, aber Musik war es nie. Das änderte sich, als die britische Cellistin Vanessa Lucas-Smith vor gut einem Jahr in das berüchtigte Flüchtlingslager auf der französischen Seite des Ärmelkanals reiste. Im Gepäck: Lauten, Flöten und Percussion-Instrumente, deren Klänge Zuhörern aus dem arabischen Raum bekannt sind. Mit diesen Musikinstrumenten begann, was es nun auch auf CD und kostenlos im Internet zu hören gibt: Die "Calais Sessions" versammeln 13 Lieder, die in einem improvisierten Tonstudio am Rande des Flüchtlingscamps aufgenommen wurden.

Es habe nur eine halbe Stunde gedauert, bis ihr bei ihrem ersten Besuch in Calais die ersten Musiker in die Arme gelaufen seien, sagt Lucas-Smith. Darunter war auch Mohealdeen, ein aus Syrien geflohener Schneider und Sänger. In Syrien habe seine Familie zu Feierlichkeiten ins Haus der Eltern eingeladen, seine Geschwister und er hätten dann gemeinsam gesungen, erzählt Mohealdeen auf der Internetseite des Projekts. Dem Gedenken eines Bruders ist nun das Lied gewidmet, dass der Sänger für das soeben erschienene Album beigesteuert hat. Der Song heißt: "The Lost Singer". Der verlorene Sänger.

Auf einem Brachland in der Nähe des Hafens von Calais ist in den vergangenen zehn Jahren die Hüttensiedlung entstanden, die als "Dschungel von Calais" bekannt ist und in der den Behörden zufolge zurzeit 4500 Menschen leben sollen. Die Menschen sind Gestrandete, die illegal nach Großbritannien gelangen wollen. Inzwischen sind der Hafen und der Bahntunnel unter dem Ärmelkanal streng abgeschirmt. Versuche, die Grenze zu überwinden, gibt es dennoch täglich.

Im Flüchtlingslager wurden in den vergangenen Jahren eigene Strukturen entwickelt, es soll dort sogar selbsterrichtete Gotteshäuser geben; von 72 illegalen Läden und Restaurants gingen die Behörden zuletzt aus, die vor wenigen Tagen geräumt werden sollten. Ein Gericht im nordfranzösischen Lille wies jedoch erst am Freitag vergangener Woche einen Eilantrag der örtlichen Präfektur zurück, berichteten französische Medien. Das Gericht entschied, die rechtlichen Bedingungen für eine Schließung seien nicht erfüllt. Die Präfektur hatte zuvor argumentiert, es gebe ein Brand-, Explosions- und Einsturzrisiko, berichtete die Nachrichtenagentur AFP.

Als im Frühjahr einmal Teile des Lagers aufgelöst wurden, war davon auch das "Good Chance Theatre" betroffen. Zwar hatte das in einem Kuppelzelt beheimatete improvisierte Schauspielhaus der britischen Theaterautoren Joe Murphy und Joe Robertson eine Ausnahmegenehmigung erhalten. Die Theatermacher, die fast täglich Programm boten - sie ließen unter anderem den "Hamlet" spielen und Schauspielstars wie Jude Law und Benedict Cumberbatch auftreten -, entschieden aber, ihr Zelt abzubauen. Zuletzt setzten sie ihre Arbeit im Londoner Kulturviertel Southbank Centre fort. Sie wollen aber nach Calais zurückkehren, kündigten die Künstler an.

So sind es zurzeit vor allem die "Calais Sessions", auf denen sich die Bewohner des "Dschungels" Ausdruck verleihen, trotz aller schlechten Nachrichten aus dem Camp. Zu hören gibt es neben folkloristischen Klängen auch Rap, Elektronisches und einen Songwriter. Sein Lied heißt "Long Road". Langer Weg. Der Schneider Mohealdeen, der verlorene Sänger, hat es nach den Aufnahmen übrigens nach England geschafft.

(kl)
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