Kameramann Lubezki knackt Rekord Der wahre Star der Oscars 2016

Düsseldorf · Vergessen Sie "Spotlight"! Vergessen Sie Leonardo DiCaprio! Der echte Star der diesjährigen Oscarverleihung ist Emmanuel Lubezki. Der Kameramann knackte mit dem dritten Oscar in Folge einen Rekord, der lange nachwirken wird.

 Emmanuel Lubezki und Forrest Goodluck bei den Dreharbeiten zu "The Revenant".

Emmanuel Lubezki und Forrest Goodluck bei den Dreharbeiten zu "The Revenant".

Foto: ap

Mit offenem Mund verfolgt man die Geschehnisse auf der Leinwand: Die Indianer greifen an, ein Pfeil durchbohrt mit einem stumpfen Geräusch die Brust einer Figur — sie fällt stumpf zu Boden. Die Kamera folgt dem Blick einer anderen Figur, hoch oben im Baum sitzt ein weiterer Angreifer. Durch einen gezielten Schuss wird er getroffen, er fällt gen Boden. Diese Szene spielt sich früh im ersten Akt des Oscarfilms "The Revenant — Der Rückkehrer" statt. Das alles geschieht ohne Schnitt, es ist eine beeindruckende Plansequenz. Cineasten werden ohne Vorwissen erkennen, dass Emmanuel Lubezki für diese Kameraarbeit verantwortlich ist.

Der Mexikaner hat sich in den vergangenen Jahren vor allen Dingen mit eben jenen Sequenzen einen Namen gemacht. Mit "Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)" setzte er das dickste Ausrufezeichen, lediglich eine Handvoll (weitestegehend unsichtbare) Schnitte benötigte er für das Kammerspiel, das einen alternden Hollywoodstar bei seinem letzten Aufbäumen vor dem Kollaps begleitet. Sein Oscargewinn war bereits vor der Verleihung ein offenes Geheimnis, so einzigartig war seine Arbeit in diesem Jahr.

Es war bereits sein zweiter Goldjunge, ein Jahr zuvor wurde er für seine Leistung in "Gravity", einem Weltraum-Actionfilm, ausgezeichnet worden. Auch dort packte er die Zuschauer mit seiner Kamera, die stetig in Bewegung war und — ähnlich wie die Protagonistin — zu schweben schien. Er machte die Angst des Abdriftens im All, ins Unendliche, fühlbar. Nun wurde Lubezki, der 1964 in Mexiko-Stadt zur Welt kam, zum dritten Mal mit einem Oscar ausgezeichnet — als erster Kameramann der Filmgeschichte.

Genauso wie bei "Birdman" arbeitet er erneut mit Regisseur Alejandro Iñárritu zusammen, wieder entstand eine außergewöhnliche Filmerfahrung. Lubezki entschied sich erneut für zahlreiche Plansequenzen, in ausgedehnten Szenen folgt die Kamera den Figuren, zumeist dem Helden Hugh Glass (Leonardo DiCaprio).

Ähnlich wie bei seinem Vorgängerwerk entfacht es eine fast unheimliche Intimität zwischen Protagonist und Zuschauer. Diese Einstellungen kombiniert Lubezki mit Closeups auf das Gesicht — die Leiden des Glass in Nahaufnahme, spuckend und röchelnd — lassen einen im Kinositz peinlich berührt tiefer sinken.

"The Revenant" ist aber in vielen Bereichen ein Werk, das die Stärken des Oscarpreisträgers kombiniert: Lubezkis Kamera ist fast immer in Bewegung, selbst wenn sie statisch ist. Das brutale Westernepos bekommt dadurch etwas essentiell Rohes. Gepaart wird dieser Aspekt mit der unbestreitbaren Schönheit der Natur — eben diese Szenen fängt der Mexikaner nämlich ebenso stark ein. Wenn zum Beispiel Glass die erste echte Hürde überwunden hat, sich aus dem Grab befreit hat und unter Schmerzen zu einer Klippe gerobbt ist, weiß Lubezki um die Stärke der Totale hinunter in die Weite der Wildnis.

Dabei legten sich er und Iñárritu für das bestmögliche Ergebnis selbst Steine in den Weg. Nur mit natürlichem Licht hat "El Chivo", so Lubezkis Spitzname, aus dunklen Wäldern, verschneiten Berghängen und reißenden Flüssen ein bildgewaltiges Panorama für den Überlebenskampf des Trappers Glass geschaffen.

Lubezki sagte bei seiner Dankesrede in der Nacht zu Montag, es sei eine unglaubliche Ehre für ihn, einen weiteren Preis gewonnen zu haben. Er dankte Iñárritu und den "Revenant"-Darstellern DiCaprio und Tom Hardy. Man glaubte es ihm sofort, denn: sein Siegeszug hat erst spät begonnen.

Lubezki studierte Geschichte und Film in Mexiko-Stadt. An der Universität lernte er auch Regisseur Alfonso Cuarón kennen, mit dem er neben "Gravity" auch für "Große Erwartungen" und "Y tu mamá también" zusammenarbeitete. Er hat bislang mehr als 30 Filme gedreht und zahlreiche Preise erhalten, allein acht Mal war er für den Oscar nominiert — erstmals 1996 für "A Little Princess".

Dabei avancierte er auch zum favorisierten Kameramann von dem sowohl etablierten als auch introvertierten Regisseur Terrence Malick. Die Werke "The New World" oder "Tree of Life" prägte er schon mit seinem Stil, auch "Children of Men" profitierte von seiner herausstechenden Arbeit. Der Oscar wollte aber nicht herausspringen.

Trotz seiner Oscarsiege ist er aktuell nicht unumstritten: Bei "The Revenant" wurde ihm vorgeworfen, dass seine Kamera zu aufdringlich für den Zuschauer sei. Es ist nachvollziehbare Kritik. Fakt ist aber auch, dass er sowohl wunderschöne als auch einnehmende Bilder liefert. Und das können nur wenige.

(cfk)
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