Die besten Filme aller Zeiten Platz 6: Jean-Luc Godards "Außer Atem"

Düsseldorf · Dieser Gangsterfilm brach mit allen Regeln. Jean-Paul Belmondo als Ganove halbherzig auf der Flucht, die bezaubernde Jean Seberg als launische Geliebte. Auf den Straßen von Paris drehte Godard diesen Klassiker der Nouvelle Vague.

An diesem Mann ist alles Pose: Versonnen steht Jean-Paul Belmondo in "Außer Atem" an die Wand gelehnt, fährt sich mit dem Finger über die vollen Lippen, versucht auszusehen wie ein richtiger Gangster, wie Humphrey Bogart, sein Idol. Belmondo hat ein Auto gestohlen, einen Polizisten erschossen, fast zufällig bei einer Kontrolle. Er tat es mehr aus Überdruss. Und nun ist er gelangweilt auf der Flucht, treibt sich herum in Paris, trifft sich mit der amerikanischen Studentin Patricia, die er liebt. Ein bisschen jedenfalls. Sie passen nicht zueinander. Aber sie gefallen sich als Paar.

1960 brachte Jean-Luc Godard seinen ersten Langfilm ins Kino. Er hatte bis dahin als Kritiker gearbeitet, hatte für das Avantgarde-Heft "Cahiers du Cinéma" geschrieben, ein sarkastischer Pedant mit hohen Ansprüchen. Nun war er selbst hinter die Kamera getreten und hatte alles anders gemacht. Gegen die Regeln, gegen die Erwartungen, gegen das Establishment.

Godard drehte nicht im Studio bei künstlich perfekter Beleuchtung. Er ließ die Straßenszenen freihändig mitten in der Pariser Geschäftigkeit drehen. Sein Kameramann hockte manchmal in einer Art Kinderwagen, manchmal schob ihn ein Assistent im Rollstuhl durch die Stadt. Passanten wurden zu Statisten. Die Schauspieler durften sagen, was ihnen in den Sinn kam. Hinterher schnitt Godard alles Überflüssige heraus und ließ falsche Anschlüsse einfach stehen. So machte er seine Schnitte sichtbar, erhob den "Jump Cut", den sprunghaften Anschluss, vom Fehler zum Stilmittel.

Godard ging es um eine gänzlich neue Annäherung an die Wirklichkeit. Er legte es an auf alles Unebene, Rohe, Improvisierte, weil es eine wahrhaftigere Form des Filmemachens versprach. Bewusst offenbarte er das Gemachte, das Künstliche jeden Films - Godard wollte Manipulationen vermeiden, zielte wie Brecht auf den mündigen Zuschauer und wollte doch eine Atmosphäre der Lässigkeit schaffen, die zum Zusehen verführt. Jedenfalls brach "Außer Atem" mit allen Gewohnheiten.

Das empfindet man noch heute. Die Frische dieses Werks hat sich nicht abgenutzt, sein Charme wirkt weiter. Der Film zu Musik des Jazzpianisten Martial Solal ist aufmüpfig, er mokiert sich über alle Konventionen, ist eine arrogante Kampfansage an das Filmemachen alter Schule und gefällt sich darin. Natürlich hätte das alles leicht im Manierismus enden können. Doch Godard war eben nicht nur gegen Papas Kino, er zeigt in "Außer Atem" mit größter Stilsicherheit, wie er sich das neue Kino vorstellt. Und so hat er einen Klassiker der "Nouvelle Vague" geschaffen. Einen Film, der von einem kleinen Gauner mit großem Selbstbewusstsein erzählt, vom Verdruss der Jugend und von der Coolness, einfach in den Tag zu leben in einer Metropole wie Paris. Für diese Geschichte fand Godard die ideale Besetzung: Den jungen, selbstverliebten, trotzigen Jean-Paul Belmondo machte er zu seinem Anti-Helden, den größten Teil seines Mini-Budgets von 400 000 Mark aber gab er für seine amerikanische Hauptdarstellerin aus: für Jean Seberg. Sie musste es sein.

Die beiden Hauptdarsteller sind ein Traumpaar der Filmgeschichte. Belmondo fühlt sich so aufreizend wohl in seiner Haut; auch als die Fahnder der Polizei ihm immer näher kommen, wirkt er nie gehetzt, nie außer Atem. Die Pose ist ihm wichtiger als sein Leben. Und Seberg lässt sich auf die Liebe zu so einem Typen nicht ein. Die Frau mit dem schönen Knabengesicht ist dem Herumtreiber doch überlegen, Sie ist ohne Pläne, ohne Skrupel. Und als die Polizei sie unter Druck setzt, denkt sie an sich. Das Melodramatische liegt ihr nicht. Sie ist in ihrem Element, wenn sie über die Champs-Élysées läuft, die "Harald Tribune"ausruft und weiß, wie verführerisch das wirkt.

Godard hat mit "Außer Atem" eine großartige Verweigerung geschaffen. Sein Werk huldigt dem amerikanischen Film Noir und missachtet zugleich alle Regeln dieses Genres. Das war das Moderne an diesem Film, das war die Provokation. Als Regisseur drehte der Kritiker Godard eine Attacke gegen plumpes Genrekino, das durch nichts irritiert. Die Attacke trifft noch heute.

(RP)
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