"Snowden" NSA-Musterschüler wird zum Daten-Dieb

Düsseldorf · In seinem Kinofilm "Snowden" ergreift Oliver Stone Partei für den Whistleblower. Zu erleben ist ein Thriller aus der Wirklichkeit.

Oliver Stone hat einen Spielfilm über den Fall Snowden gedreht, und wer nun meint, das sei doch wohl nicht nötig, denn es gebe ja bereits einen Film zum Thema, die bestens recherchierte und mit dem Oscar ausgezeichnete Dokumentation "Citizenfour" von Laura Poitras nämlich, hat natürlich recht. Dennoch ist "Snowden" eine sehenswerte Produktion. Zum einen ist die Geschichte faszinierend, auch beim zweiten Mal noch. Zum anderen rüttelt Stone den Zuschauer eindrucksvoll auf. Der 70-Jährige fiktionalisiert und überhöht die Wirklichkeit so weit, dass man sich in einer Art "1984" für Smartphone-Nutzer wähnt, in einem negativen Zukunftsentwurf, der gruselig ist, aber weit weg zu sein scheint. Und gerade als man sich sicher wähnt in der Gegenwart, blendet Stone das Gesicht des echten über das des Schauspieler-Snowdens: Willkommen in der Wirklichkeit. Wer es nicht längst getan hat, beschließt in diesem Moment, die Kamera seines Computers abzukleben.

Edward Snowden sieht bei Oliver Stone aus wie Harry Potter, und natürlich stellt sich der Regisseur in den Dienst jenes Mannes, der Tausende interne Dokumente zu den Überwachungspraktiken der Nationalen Sicherheitsbehörde der USA (NSA) gestohlen und veröffentlicht hat. Der 70 Jahre alte Stone ist der Regisseur von "Platoon" (1986), "Wall Street" ('87) und "JFK" ('91), er ist der größte Widerspenst Hollywoods, und er mag Kerle, die eigentlich Patrioten sind, die aber vom Glauben abfallen, weil sie Ungerechtigkeit erleben. Stone betrachtet Snowden als desillusionierten Idealisten, der in Moskau im Exil sitzt, dem in den USA bis zu 30 Jahre Haft drohen. Außerdem fordert Donald Trump für ihn die Todesstrafe.

Dreh- und Angelpunkt des Films ist das Hotelzimmer in Hongkong, in das Snowden geflüchtet war. Er erzählt dem Journalisten Glenn Greenwald und der Filmemacherin Laura Poitras seine Geschichte, und von dort blickt Stone zurück: Zum jungen Soldaten Snowden, der beim Marschieren singen muss: "Statt am Steuer eines Cadillac / Fahren wir im Konvoi durch Irak". Er kommt schließlich zur CIA und genießt das Geraune zunächst, die Coolness und das Summen der Monitore. Man wird bald auf den klugen Kopf aufmerksam, es gibt einen Test für höhere Aufgaben, bei dem die Kandidaten innerhalb von acht Stunden das Sicherheitssystem eines anderen Landes knacken müssen. Snowden schafft es in 38 Minuten.

"Snowden" ist aber nicht bloß eine Heldengeschichte aus dem Rechenzentrum, sondern auch eine Romanze. Joseph Gordon-Levitt spielt Snowden als phlegmatischen Nerd, der sich in Lindsay Mills (Shailene Woodley) verliebt, und diese Frau wird zum Katalysator für den Geheimnisverrat. Als Snowden schon tief drin steckt in den nach Hawaii ausgelagerten unterirdischen Räumen der NSA, versucht ein Vorgesetzter, nett zu ihm zu sein. Lindsay sei ihm treu, versichert der Chef augenzwinkernd. Von da an weiß Snowden, dass auch er überwacht wird, dass niemand sicher ist. Das Übertragen der Daten ist dann zweiminütige Hochspannung, ein Thriller für sich, nie war es so unerträglich, einem Ladebalken beim Wachsen zuzusehen. Den Mikrochip schmuggelt der Zauberlehrling in einem Zauberwürfel aus dem Hochsicherheitstrakt.

Stone macht uns einen Reim auf die Figur Snowden, er will ihn als Menschen rehabilitieren, und er tut es aufgeräumt und geradezu minimalistisch. Seine Filme sind ja sonst voller Zorn und Wut, aber das hier ist eben kein Schlachtfeld aus Blut, Körpern und Begierden, sondern eine abstrakte Zone aus Codes und Algorithmen. Er animiert die Zahlenreihen, die bewegt werden, sie tanzen über die Leinwand, und das ist ja ohnehin sein Auftrag: das Virtuelle zu visualisieren.

Man merkt, dass Stone eher dokumentarische Interessen hegt. Trotzdem macht er vor dem Filmstart wieder viel Wind. Vor der Veröffentlichung von "The Doors" ('91) hatte er ja verraten, dass er dieselben Drogen probiert habe wie einst Jim Morrison, für "Zwischen Himmel und Hölle" ('93) ist er zum Buddhismus übergetreten. Passend zum Thema Snowden wittert Stone nun allenthalben Verschwörung. Hollywood wollte den Film nicht produzieren, sagte er, deshalb drehte er zu großen Teilen in Bayern, mit viel deutschem Geld. Er musste dem russischen Anwalt Snowdens für eine Million Dollar die Rechte an dessen obskurem Roman über Snowden abkaufen, damit er ihm den Kontakt zum Exilanten herstellt. Neun Mal soll Stone Snowden besucht haben, und fast ebenso oft habe er sein Büro in Los Angeles entwanzen lassen müssen. Gedreht wurde unter größter Geheimhaltung - Codename: "Sasha".

Entstanden ist ein zwar nüchtern inszeniertes, sicher nicht makelloses, aber durchaus wirkmächtiges Drama, das den Zuschauer nicht - wie sonst bei Stone - aufwiegelt, sondern zweifeln lässt und beunruhigt.

Einmal wird im Film ein ausländischer Diplomat von der US-Regierung erpresst. Man schaltet sich auf den Computer der Tochter, durchforstet ihren Facebook-Account und findet heraus, dass ihr Freund illegal im Land ist. Er wird ausgewiesen, das Mädchen ist unglücklich, der Vater also auch, und als er die Regierung bittet, ihm in dieser Sache zu helfen, hat man ihn in der Hand. "Bei wem kann man das machen", fragt Snowden den NSA-Kollegen, der ihm all das vorführt. "Bei allen", antwortet der. "Bei allen Facebook-Nutzern?", fragt Snowden ungläubig. "Nein. Bei allen Bürgern."

(hols)
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