"Segantini — Magie des Lichts" Die Seele des Alpenmalers: Doku über Giovanni Segantini

Düsseldorf · Vielleicht ist dies der Künstlerfilm der Zukunft: keine kostümierten Schauspieler, die den Pinsel schwingen, keine schlauen Kunsthistoriker, die gestenreich Bilder deuten, und keine Zeitgenossen, die Anekdoten zum Besten geben. Sondern einfach nur Malerei, Filmansichten von den Schauplätzen, aus dem Off tönende Sätze des porträtierten Künstlers selbst, ein paar Worte zur Biografie und ein wenig Musik.

Christian Labharts Schweizer Dokumentarfilm "Segantini - Magie des Lichts" könnte dem Genre den Weg weisen. In der Schweiz hat er bereits viel Lob eingeheimst.

Das Leben hatte Giovanni Segantini (1858-1899) so viel zugemutet, dass man in den 80 Minuten des ruhigen, zuweilen düsteren, dann aber auch mit wunderbaren Alpenbildern gekrönten Films unwillkürlich an das Schicksal heutiger Flüchtlinge denkt. Als er sechs war, starb 28-jährig seine Mutter. Ein Jahr später folgte ihr der Vater. Er hatte Giovanni zuvor zu Irene, seiner Tochter aus erster Ehe, nach Mailand gebracht. Dort erfuhr Giovanni Hunger, Einsamkeit und Gefühlskälte. Außerdem hatte die Halbschwester ihm die österreichische Staatsangehörigkeit entziehen lassen, ohne eine neue, italienische zu beantragen.

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"Ich wollte leben", so zitiert der famose Bruno Ganz den jungen Giovanni Segantini aus dessen gesammelten Briefen. Durch oftmals verregnete Landschaftsansichten folgen wir dem jungen Mann, der sich in Mailand zum Maler hatte ausbilden lassen, zur Frau seines Lebens: "Bice", der Schwester eines Studienfreunds und späteren Mutter seiner vier Kinder. Die junge Frau, der man auf vielen seiner Bilder begegnet, ist allerdings nicht Bice, sondern das Kindermädchen der Familie, "Baba".

Die Segantinis zogen mehrfach um, denn Giovanni strebte immer mehr dem Licht über den Bergen entgegegen. Es flirrt durch seine getupften symbolistischen Landschaften, über Weiden, Ziegen und oftmals eine einsame Frauengestalt. Die Winzigkeit des Menschen angesichts der Großartigkeit der Bergwelt wurde Segantinis Thema: die Lebenszyklen Werden, Sein und Vergehen, Mutter und Kind, Geburt und Tod. Segantini empfand die Berge wie Altäre, vor denen man zum Gebet niederkniet. Was er in seiner Kindheit und Jugend hatte entbehren müssen, gab ihm seine Bice offenkundig in einem Maße, das ihn glücklich machte. Er wurde berühmt, geriet aber auch an den Rand des Ruins und fertigte hoffnungsvoll für die Pariser Weltausstellung ein Triptychon der Alpen an. Dann endete das Glück.

Eine der letzten Szenen des Films zeigt ein Gemälde von Segantinis Freund Giovanni Giacometti: Segantini auf dem Totenbett. Auf dem Schafberg im Engadin, auf den er sich zum Malen zurückgezogen hatte, erlitt er einen Blinddarmdurchbruch.

In 2731 Meter Höhe fand sich niemand, der ihm helfen konnte. Mit 41 Jahren hatte sich sein Leben vollendet - in den Alpen, dort, wo die Seele Schicksal, Höhen und Tiefen von jeher stärker empfindet als bei uns im Flachland.

(RP)
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