Neuer Film von Thomas Vinterberg "Die Kommune" — eine schmerzhaft intensive Erfahrung

Düsseldorf · Anna und Erik sind, was man beim Fußball ein winning team nennen würde, etwas, das man besser nicht ändert. Aber ihnen ist das Glück so zur Routine geworden, dass sie glauben, sie könnten es variieren.

 Ulrich Thomsen als Erik und Helene Reingaard Neumann als Emma.

Ulrich Thomsen als Erik und Helene Reingaard Neumann als Emma.

Foto: dpa, kes sab

Erik doziert als Architekt an der Uni, Anna ist als TV-Nachrichtensprecherin landesweit populär und Tochter Freja (Martha Sofie Wallstrøm Hansen) eine ausgesprochen ausgeglichene 14jährige, der Umgang miteinander ist liebevoll. Eines Tages löst Anna dieses grundsolide Konzept auf. Um mal was Neues auszuprobieren.

Freie Liebe ist groß im Kommen

Es sind die Siebziger in Kopenhagen. Die Hippies haben ihre große Stunde, freie Liebe ist groß im Kommen, das traditionelle Familienmodell wirkt plötzlich wie ein soziales Übel. Trine Dyrholm ("Love is all you need") steht im Zentrum, sie ist so was wie die Meryl Streep Dänemarks, an Anna lässt sich wunderbar beobachten warum. Als Erik (Ulrich Thomsen) eine 450 Quadratmeter große Villa erbt, möchte Anna darin eine Kommune gründen. "Erik und ich erschaffen zusammen was Großes", erklärt sie Freunden. Erik, der in seiner spießigen Ehe eigentlich zufrieden ist, sitzt daneben und schweigt.

Wenn man die Tragikomödie von Thomas Vinterberg sieht mit der absehbaren Dramaturgie, seichten Dialogen und behäbiger Standkamera, hat man einige Mühe, sich an "Dogma 95" zu erinnern. Vor zwanzig Jahren war Vinterberg wie Lars von Trier einer der jungen Wilden, die das skandinavische Kino revolutionieren, wieder auf einfachste Mittel runterbrechen wollten. Geniale Aufreger wie Vinterbergs "Fest" stammen aus dieser Zeit. Aber auch Dogmatiker werden irgendwann müde. 2012 machte Vinterberg den Mads Mikkelsen-Thriller "Die Jagd", im vergangenen Jahr kam er mit dem Kitschstück "Am grünen Rand der Welt" vollends in Hollywood an. "Die Kommune" ist jetzt wieder ein dänisches Projekt. Aber das ist auch schon seine ganze Rückkehr zu den Wurzeln.

Freunde und Bekanntschaften ziehen in die Gemeinschaft

Anna setzt ihre Utopie durch. Alte Freunde und neue Bekanntschaften ziehen in die Hausgemeinschaft ein. Vinterberg inszeniert den Beginn des Experiments als feuchtfröhliche Sitcom, mit Gags und Nebenfiguren, die zu flach gezeichnet sind, um einen zu interessieren. Da gibt es die Alternativ-Eltern, die ruppige Emanze, den Quoten-Ausländer, den Schwätzer, der bei den Versammlungen am Kopfende sitzt, aber noch keine Packung Kaffee selbst bezahlt hat. Der Haufen funktioniert eher wie der Chor eines klassischen Dramas. Man springt gemeinsam nackt in den See, regelt Konflikte per Handabstimmung, Geld ist kein Thema. Erik, der keine Miete kriegt und seine Frau kaum noch allein sieht, bleibt jeden Tag länger an der Uni.

Nostalgisch ist das alles gefilmt, in gelbbraunstichigen Bildern, die den öligen Glanz alter Super 8-Aufnahmen haben und gar nicht zu sehr in die Tiefe wollen. Im Grunde sind es Erinnerungen an Vinterbergs eigene Kindheit in einer Kommune. Dass die Zeiten dort nicht immer nur schön gewesen sein können, zeigt der zweite Akt des Films, in dem alles ins Tragische kippt. Bei der Arbeit verliebt Erik sich in die Studentin Emma (Helene Reingaard Neumann). Er erzählt es Anna, abends im Bett, es ist der Augenblick, in dem ihre Beziehung endet. "Bring sie mit, sie kann doch auch hier wohnen", sagt Anna tapfer. Utopien sterben langsam.

Miese Stimmung am Esstisch

Ab da schrumpft der Bewohnerchor zu einer bedrückt am Esstisch kauernden Masse. Und Anna lernt auf die schmerzhafte Art, dass freie Liebe unter Beobachtung nicht funktioniert, jedenfalls nicht für sie. Nachts hört sie dem eigenen Mann im Nebenraum beim Sex zu. Am Tag verbeißt sie sich mit der jungen Rivalin in einen Kampf, der längst entschieden ist. Spätestens jetzt ist Vinterberg das restliche Ensemble komplett egal, und sein Film wird zu einer schmerzhaft intensiven Erfahrung. Alles konzentriert sich auf Anna, deren Signale an Erik ins Nichts funken und deren Sehnsucht an der Zimmerwand abprallt.

Am Ende ist "Die Kommune" die Geschichte einer kollektiven Idee, die am Drama eines Individuums zerbricht, und das kraftvolle Porträt einer gedemütigten Frau. Der Film erzählt von Träumen, die in die Einsamkeit führen, von der Liebe als Gefängnis, dem Ende einer Ehe. Ganz klassisch, geradezu spießig. So ist das Leben.

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