Drama "Julieta" ist großes Gefühlskino

Düsseldorf · Der Regisseur Pedro Almodóvar hat sich von Alice Munro inspirieren lassen. Die Wände sind weiß und schmucklos. Die Einbauküche ist modern und glänzend. Die ganze Wohnung erstrahlt in luxuriöser Nüchternheit. Sie passt nicht zu Julieta (Emma Suárez), in deren Gesicht das Leben in über fünfzig Jahren deutliche Spuren hinterlassen hat.

 Der Film "Julieta" spielt mit der "schönen Traurigkeit".

Der Film "Julieta" spielt mit der "schönen Traurigkeit".

Foto: zoomin

Es ist eine Wohnung, in der sie versucht hat, die Vergangenheit zu vergessen. Die Umzugskartons sind gepackt, denn Julieta will ihr Leben in Madrid nun ganz hinter sich lassen und mit Lorenzo (Darío Grandinetti) in Portugal ein neues anfangen.

Aber kurz vor der Abreise trifft sie Beatriz (Michelle Jenner), die erzählt, dass sie Julietas Tochter Antía mit ihren drei Kindern zufällig am Comer See getroffen habe. Und plötzlich ist alles wieder da: der Schmerz, der Verlust, die Schuldgefühle und die Gewissheit, dass die Vergangenheit nicht vergessen werden kann. Julieta beginnt einen Brief zu schreiben an die Tochter, die mit achtzehn zu einem spirituellen Workshop fuhr und nie wieder zurück kam, ohne der Mutter auch nur ein Lebenszeichen zukommen zu lassen.

Ein radikaler Bruch zwischen Mutter und Tochter bietet den dramatischen Kern von Pedro Almodóvars neuem Film "Julieta". Nach seinem halbherzigen Ausflug in die schrill-schwule Komödie in "Fliegende Liebende" kehrt der spanische Regiemeister nun wieder zurück zu den starken Frauencharakteren, deren Leben und Lebenskraft sich in seinen Filmen immer wieder mit dramatischer Wucht entfalten darf.

Dabei hält sich Almodóvar in "Julieta" von allen postmodernen Spielereien, die Werke wie "Alles über meine Mutter" oder "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" auszeichneten, fern, sondern geht mit tief berührendem Ernst an sein Drama heran. Als Vorlage dienten dem Regisseur drei Kurzgeschichten der kanadischen Literaturnobelpreisträgerin Alece Munro, die Almodóvar frei interpretierend nach Spanien transferiert hat.

Wie in einem Film Noir blättert er mit einer eleganten Rückblendendramaturgie die verdrängte Vergangenheit seiner Protagonistin auf, die mit einer leidenschaftlichen Begegnung im Zug beginnt und mit dem Tod des geliebten Mannes aus den Fugen gerät. Dabei sind nagende, unterschwellige Schuldgefühle, die das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter vergiften, von zentraler Bedeutung.

Große Liebe, Schmerz, Verlust, gegenseitige Fürsorge und unheilbare Verwundungen liegen in "Julieta" ganz dicht nebeneinander und werden zu einem Stück großen Gefühlskino verwebt. So aufrichtig und kompromisslos schafft das wohl nur ein Meister wie Pedro Almodóvar, der hier vielleicht sein vielversprechendes Alterswerk beginnt und zur emotionalen Essenz des Kinos vorstößt.

Julieta, Spanien 2016, Regie: Pedro Almodóvar, mit Emma Suárez, Adriana Ugarte, Darío Grandinetti, 99 Minuten

(RP)
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