Filmkritik "Die Verlegerin" "Wir drucken!"

Düsseldorf · Der Film "Die Verlegerin" von Regisseur Steven Spielberg ist ein Leitartikel für die Pressefreiheit. In der Hauptrolle: Meryl Streep als die Unbestechliche.

 Meryl Streep (4.v.l.) als Verlegerin in einer Szene des Kinofilms "Die Verlegerin".

Meryl Streep (4.v.l.) als Verlegerin in einer Szene des Kinofilms "Die Verlegerin".

Foto: dpa, sab

Steven Spielberg hat einen Leitartikel geschrieben. "Die Verlegerin" lautet seine Überschrift, und darin hält der Regisseur ein flammendes Plädoyer für die Pressefreiheit. Der 71-Jährige hatte diesen Film eigentlich gar nicht geplant, er steckte gerade in ziemlich aufwendigen Dreharbeiten für einen Science-Fiction-Film. Spielberg machte nie ein Geheimnis daraus, dass er die Demokraten unterstützt, aber nun musste er mit ansehen, wie nicht seine Kandidatin die Präsidentenwahl gewann, sondern Donald Trump.

Das ist Demokratie, mag er sich da noch gedacht haben, so läuft es halt. Als er dem Kerl im Weißen Haus allerdings ein paar Wochen lang mit der Faust in der Tasche beim Regieren zugeschaut hatte, rief er Meryl Streep und Tom Hanks an und erklärte sein Anliegen. Beide sagten: Wir drehen.

Man muss diesen Film als Zwischenruf eines engagierten Künstlers werten, als Zeit-Schrift, als hastig und erregt formulierten Kommentar zur Gegenwart. Dabei spielt er gar nicht heute, sondern im Jahr 1971. Die "New York Times" war an die "Pentagon Papers" gekommen, jene geheimen Akten, die bewiesen, dass mehrere US-Präsidenten das Volk über den Krieg in Vietnam belogen hatten. Der Krieg, das ging aus den Dokumenten hervor, war nicht zu gewinnen gewesen; die Soldaten wurden erbarmungslos verheizt.

Die Zeitung druckte eine erste Geschichte, doch die Nixon-Regierung ließ der "New York Times" weitere Veröffentlichungen untersagen. Das war der Moment, als Katharine Graham, die Verlegerin der "Washington Post", und ihr Chefredakteur Ben Bradlee begriffen, was auf dem Spiel stand. Sie besorgten sich die Akten, und obwohl sie befürchten mussten, die Zeitung und den Job zu verlieren, sogar ins Gefängnis zu gehen, fassten sie einen Entschluss: Wir drucken.

Spielberg erzählt die Geschichte wie einen Bildungsroman. Er lässt den Film an der Entwicklung von Katherine Graham entlangschnurren. Sie entstammte altem Hauptstadt-Adel. Ihre Mutter war Agnes E. Meyer, deren Name vor allem Kennern des Werks von Thomas Mann ein Begriff sein dürfte. Meyer war Fan der "Buddenbrooks" und unterstützte deren Schöpfer nach seiner Übersiedlung in die USA. Sie besorgte ihm die hochdotierte Ehrenprofessur in Princeton und den Posten als "Honorary Consultant" der Nationalbibliothek, für den er 400 Dollar im Monat bekam und als Gegenleistung lediglich einen Vortrag im Jahr halten musste. Mann nannte Meyer in seinem Tagebuch trotzdem eine "Geistpute".

Ihr Ehemann Eugene Meyer war das erste Oberhaupt der Weltbank und ersteigerte Anfang der 1930er Jahre die zahlungsunfähig gewordene "Washington Post". Nachdem seine Tochter Katharine geheiratet hatte, übertrug er ihrem Ehemann Philip Graham die Herausgeberschaft. Nach dessen Selbstmord stand Katharine Graham plötzlich und unvorbereitet an der Spitze des Blattes, das damals noch eine Regionalzeitung war. Es waren jene Zeiten, in denen bei Gesellschaften Damen und Herren nach dem Dinner in unterschiedliche Zimmer gingen. Die einen redeten über Klatsch, die anderen über Politik. Auch das Ende dieser Ära beschreibt "Die Verlegerin".

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Meryl Streep spielt Katharine Graham, und es wirkt, als habe sie am Set die Schubladen aufgezogen, in denen sie ihre besten Ideen aus "Der Teufel trägt Prada", "Die eiserne Lady" und "Florence Foster Jenkins" verwahrt. Zunächst ist sie naiv, alsbald zielstrebig und schließlich schneidig. Das brachte ihr die 21. Oscar-Nominierung ein. An ihrer Seite sieht Tom Hanks als Chefredakteur ein bisschen geknautscht aus. Krawatte auf Halbmast, ein Kaffee zu viel. Nie war Hanks näher an Jimmy Stewart als hier. In seinen Zügen meint man zu erkennen, wie stark der Druck damals gewesen sein muss. Die "Post" wagte ja außerdem gerade den Börsengang, es gab viel zu verlieren.

Der Film braucht ein bisschen, bis er Fahrt aufnimmt, doch dann verknüpft Spielberg virtuos die Fäden: Polit- und Journalismus-Thriller, dazu die Emanzipationsgeschichte. Er macht das Erlebnis Zeitung sinnlich nachvollziehbar: Die hemdsärmeligen, ständig rauchenden Redakteure. Die hastenden Boten. Die mit dem gespitzten Bleistift eingefügten Korrekturen. Das Rattern der Druckmaschinen. Das Klacken der Bleibuchstaben.

Es gibt großartige Details. Jene Szene etwa, in der der Informant Daniel Ellsberg 4000 Seiten Top-Secret-Material an den Reporter Ben Bagdikian übergibt. Informant: "Würdest Du nicht ins Gefängnis gehen, um diesen Krieg zu beenden?" Reporter: "Theoretisch schon." Informant: "Aber du veröffentlichst die Akten doch?" Reporter: "Ja." Informant: "Dann ist es doch gar nicht so theoretisch." Da muss der Reporter erstmal schlucken.

Für die Akten bucht er dann einen eigenen Sitzplatz im Flugzeug. Oder die Tochter des Chefredakteurs, die den im heimischen Wohnzimmer versammelten Kollegen des Vaters Limonade verkauft und nachher ein Bündel Dollar-Noten hortet. Oder der völlig unglamourös, aber total wahrhaftig orchestrierte Entschluss, mit der Story an die Öffentlichkeit zu gehen. Mit diesen Worten rettet Streep, die hier ohnehin mehr Mensch mit Bauchgefühl denn kalkulierende Verlegerin ist, die Pressefreiheit: "Ja - ja - uff. Große Entscheidung. Lasst es uns veröffentlichen, lasst es uns veröffentlichen."

Dieser Film hat ein großes Herz, man merkt den Beteiligten an, dass sie eine Mission haben. Deshalb stört es auch nicht, dass er gegen die großen Vorbilder "Die Unbestechlichen" (1976) und "Spotlight" (2015) ein wenig abfällt. Ganz bei sich ist er indes, wenn die Entscheidung des Supreme Court zugunsten der "Washington Post" und der "New York Times" verkündet wird: "Die Presse hat den Regierten zu dienen, nicht den Regierenden."

Das ist der Satz, auf den der Film zuläuft, er ist das Fenster, das Spielberg zur Gegenwart öffnet. Die Pressefreiheit steht weltweit unter Druck, auch in Europa. Die Rechtspopulisten in Polen und Ungarn verschärfen die Mediengesetze, die Türkei verhaftet Journalisten und verbietet Satire. Von Russland, Iran und China muss man gar nicht reden. Spielbergs Film zeigt, dass eine unabhängige Presse notwendig ist, um eine informierte Debatte zu ermöglichen, die wiederum Voraussetzung ist für gesellschaftlichen Fortschritt und die Entstehung einer modernen Öffentlichkeit.

Wie weit sollten Journalisten gehen, um die Wahrheit herauszufinden? Der Film gibt eine eindeutige Antwort. Am Ende von "Die Verlegerin" sieht man den Einbruch ins Watergate-Gebäude. Steven Spielberg zitiert den Anfang von Alan J. Pakulas "Die Unbestechlichen", jenen Film, in dem Robert Redford und Dustin Hoffman als "Post"-Reporter Präsident Nixon zu Fall bringen. "Die Verlegerin" war also erst der Anfang, das Ende ist nicht absehbar. Sicher ist nur: Es ist unsere Geschichte, die hier erzählt wird.

Die Verlegerin, USA 2017 - Regie: Steven Spielberg, mit Meryl Streep, Tom Hanks, Alison Brie, Bob Odenkirk, Bruce Greenwood, 117 Min.

(hols)
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