Eine Schulklasse gegen den Staat

In "Das schweigende Klassenzimmer" rebellieren Schüler in der DDR.

Manchmal kann ein einziger Moment das ganze Leben auf den Kopf stellen. Das erleben auch die Abiturienten in "Das schweigende Klassenzimmer". Basierend auf wahren Ereignissen erzählt Regisseur Lars Kraume von Schülern in der DDR, die nach einer Schweigeminute als Staatsfeinde dastehen.

Es ist das Jahr 1956. Die Mauer ist noch nicht gebaut, doch das System der DDR ist etabliert. Die Abiturienten Leo und Kurt leben in Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt in Brandenburg. Während eines Besuchs in Westberlin schleichen sie sich ins Kino und erfahren in der Wochenschau von Aufständen in Ungarn. Zu Hause erzählen sie ihren Freunden davon und hören im heimlich eingeschalteten Westradio, dass bei der Niederschlagung Hunderte Menschen ums Leben gekommen sind - die Klasse entscheidet sich kurzfristig, zu Unterrichtsbeginn zwei Schweigeminuten für die Opfer einzulegen.

Wirklich überlegt haben sie sich ihre Aktion nicht. Stattdessen ist sie eher das Ergebnis dieser unbedarften jugendlichen Energie, die nur schwer zu bremsen ist: Die Heranwachsenden sind voller Tatendrang und haben einen starken Sinn für Gerechtigkeit. Genau das wird den Schülern zum Verhängnis. Ihr Schweigen wird schnell als politischer Akt ausgelegt, das Bildungsministerium ordnet eine Untersuchung an, und mit einer Notlüge rausreden kann sich keiner mehr.

Regisseur Kraume zeigt auf bedrückende Weise, wie die Abiturienten unter Druck gesetzt werden. Da ist nicht nur das Ministerium, das den Anführer ausfindig machen will und sich dabei nur allzu gern auf den Westradio hörenden Onkel (Michael Gwisdek) stürzt. Auch die Eltern, darunter Ronald Zehrfeld als Arbeiter, fürchten - berechtigterweise - um die Zukunft ihrer Kinder. Denn wenn diese vom Abitur ausgeschlossen werden, bleiben ihnen viele berufliche Wege versperrt.

Während Kraume in seinem mehrfach ausgezeichneten Film "Der Staat gegen Fritz Bauer" schon einmal in die Nachkriegs-Ära eintauchte und auf das schwierige Aufarbeiten westdeutscher Geschichte fokussierte, schaut er nun in die DDR zu einer ähnlichen Zeit. Indem er den Konflikt der Schüler beobachtet und analysiert, gelingt ihm ein vielschichtiges Porträt des DDR-Unterdrückungsapparats.

Doch die Abiturienten halten dagegen. Die Machtdemonstration des Staates führt sogar dazu, dass sie sich nicht wegducken, sondern Position beziehen. Obwohl sie eigentlich mundtot gemacht werden sollten, erwacht in vielen Schülern nun politischer Widerstand. Kann ich meine Freunde verraten, um meine eigene Zukunft zu retten? Könnte ich damit wirklich leben?

Das schweigende Klassenzimmer, Deutschland 2018 - Regie: Lars Kraume, mit Leonard Scheicher, Tom Gramenz, Anna Lena Klenke, 111 Min., FSK ab 12

(dpa)
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