Kult-Hit für Fußball-Fans Ein toller Film erklärt "You'll Never Walk Alone"

Liverpool · Eine sehenswerte Dokumentation versucht, die Popularität der Fußball-Hymne "You'll Never Walk Alone" zu erklären. Moderiert wird der sehenswerte Film von Joachim Król.

 Joachim Król (l.) trifft Campino im Stadion in Liverpool.

Joachim Król (l.) trifft Campino im Stadion in Liverpool.

Foto: Florianfilm

Martin Walser hat ja gesagt, es gebe nichts Sinnloseres als Fußball, außer Nachdenken über Fußball. Kann vielleicht sein. Aber es gibt wohl auch wenig Schöneres als Fußball oder Nachdenken über Fußball. Die Dokumentation "You'll Never Walk Alone" beweist das wunderbar: Liebevoller und mit mehr Anspruch ist vom Sport im Kino seit Jahren nicht erzählt worden.

Im Zentrum steht Gerry Marsdens rund 55 Jahre alter Radiohit "You'll Never Walk Alone". Nostalgischer britischer Popschnulz oder, wie es in einer Szene ein Stadiontechniker ausdrückt, "knapp drei Minuten pures Genie". Die Ballade gilt heute als große inoffizielle Fußballkulthymne der Welt. Im Stadion des FC Liverpool dröhnt sie als geheiligtes Ritual vor und während jedem Spiel aus zigtausend Kehlen.

Bloße Durchhalteparole oder doch mehr?

Das Komische daran ist, mit Fußball hat der Song eigentlich gar nichts zu tun. Der Text handelt nicht mal davon. Sondern von einem metaphorischen Unwetter des Lebens, in dem man den Kopf einziehen will, aber trotzdem mitten durch muss, durch Regen und Wind, selbst wenn die Träume gepeitscht und verweht werden, tossed and blown. Und dann der große Appell in C-Dur, die Hoffnung nicht aufzugeben. "Walk on!", denn allein wirst du da nie durchmüssen. Eine bloße Durchhalteparole für Mannschaften im Torrückstand. Oder doch mehr als das?

Wie das Lied zum Kult wurde und wie kurvenreich der Weg dahin war, das zeigt der Film. Er lässt sich Zeit dabei und mäandert, wandert sorglos zwischen den Welten von Theater, und Literatur der Spätromantik, Broadway, Oper und Beatpopkultur der Sechziger. Er spannt weite Bögen zwischen Wien und Budapest, New York und London, Dortmund und Liverpool. Wer hier eine reine Doku vom grünen Rasen erwartet, wird möglicherweise enttäuscht sein oder zumindest zwischendurch mal ungeduldig werden. Denn so richtig ums Kicken geht es eigentlich erst in den letzten 20, 30 Minuten.

Der Einfall seines Lebens

Dokumentarfilmer André Schäfer ("John Irving und wie er die Welt sieht") holt sich als Moderator für "You'll Never Walk Alone" Joachim Król vor die Kamera, der selbst leidenschaftlicher Fußball- und Musikfreak ist. In der ersten Szene radelt Król heiter durch die Kölner Altstadt, vor einem kleinen Plattenladen steigt er ab, auf der Suche nach Coverversionen des Songs. Er wird fast alles finden, Soul und Gospel, klassischen Chor und Pop. Längst hat das Lied die Genres erobert.

In Wien fährt Król mit der Schauspielerin Mavie Hörbiger eine Runde Tram, sie erzählt vom Theaterstück "Liliom", das Ferenc Molnár 1909 in Budapest schrieb. Król düst nach New York, wo "Liliom" zum Broadway-Musical wurde. Kein besonders erfolgreiches, aber für das Musical wurde der Song komponiert. In London findet Król den 75-jährigen Gerry Marsden. In den 1960ern ein junger Musiker der Liverpooler Merseybeat-Generation, hörte Marsden den Song zufällig im Kino. Er hatte den Einfall seines Lebens, coverte den Song und landete in England jenen Nummer Eins-Hit, der zur Legende wurde.

Die Melodie macht aus uns Gewinnern

Immer mal wieder geht Schäfer der Fokus verloren, er will zu viele Nebenstränge der Geschichte aufgreifen. Er schickt den bekennenden BVB-Fan Król auch in die Dortmunder Fanzentrale, dann zu einer Choraufnahme des Songs, er stellt Król und den Sänger Campino gemeinsam vor die Tore des Liverpool-Stadions, um zu zeigen, wie beide für diese Welt brennen. Campino erzählt, warum das Lied auf jedem Konzert der Toten Hosen als Rausschmeißer gespielt wird, seit vielen Jahren. Und wer weiß noch nicht, dass "You'll Never Walk Alone" traditionell bei der Feier zur Amtseinführung amerikanischer Präsidenten gespielt wird?

Am Ende kommt der Song jedenfalls dann doch noch zu Hause an, im Stadion an der Anfield Road. Joachim Król auch, den man mit selig wässernden Augen in der Kurve stehen sieht, während vor dem Anpfiff das Lied die Menge durchströmt. Lars Ricken durfte kurz vorher noch was aus dem Nähkästchen plaudern. Jürgen Klopp, den sie in Liverpool ja fast so verehren wie den Song, erzählt, wie die Melodie die Mannschaft jedes Mal zu Gewinnern macht und mit den Fans verschweißt. Völlig egal, wie das Spiel ausgeht. Um hierhin zu kommen, geht der Film weite Wege, auch mal ins Abseits.

Sinnlos? Kann man drüber streiten. Sind auf jeden Fall rund 90 sehr schöne Minuten.

(wie)
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