Vor der Verleihung Die überraschenden Favoriten der Berlinale

Berlin · Um 19 Uhr werden in Berlin die Bären vergeben. Die Stars haben enttäuscht - gute Chance für kleine Produktionen.

So sehen die überraschenden Favoriten aus
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Auf sie hatten viele gesetzt: Werner Herzog und Terrence Malick. Doch dann waren deren Filme mehr gewollt als gewichtig.

Wenn der Wettbewerb in Berlin mit der Bären-Verleihung zu Ende geht, dürfte es Überraschungen geben. Stark waren diesmal Filme mit kleinem Budget und großer Dringlichkeit. Ein Ausblick:

1 Sebastian Schipper: "Victoria"

Der deutsche Regisseur hat seinen Thriller auf Berlins Straßen in einer Nacht in einem Schwung gedreht. Enormes Wagnis, das sich gelohnt hat: Man spürt das Adrenalin der Drehbedingungen, die Figuren wirken echt. Allerdings war Schipper zu ehrgeizig und hat zu viele dramatische Wendungen in sein Experiment gepackt. Vielleicht werden darum eher seine Darsteller mit einem Bären ausgezeichnet. Die Spanierin Laia Costa und der warmherzige Frederick Lau hätten es verdient.

2 Peter Greenaway: "Eisenstein in Guanajuato"

Endlich mal ein Biopic, das nicht brav ein Leben nacherzählt. Der sinnenfrohe Brite Peter Greenaway nimmt eine Reise des russischen Filmgenies Sergei Eisenstein nach Mexiko zum Anlass, über zwei Triebe des Menschen nachzudenken: Sex und Tod. Das tut er mit einer Flut ungewöhnlicher Mittel, teilt die Leinwand auf, kombiniert virtuos historisches Material und seine Einfälle zu Eisenstein und Mexiko. Allerdings strapaziert das irgendwann die Sehnerven. Kreisende Kamera, opulente Farben, explizite Sexszenen - Greenaway führt vor, wie viele Möglichkeiten der Film hat. Und wie wenig sie im Mainstream-Kino genutzt werden. Aber alles auf einmal muss man schon mögen. Vielleicht wird also auch in diesem Fall eher der Hauptdarsteller ausgezeichnet: Der Finne Elmer Bäck macht aus Eisenstein ein launisches Riesenbaby, und zwar schamlos, mit totalem Körpereinsatz.

3 Jayro Bustamante: "Ixcanul - Vulkan"

Der erste Wettbewerbsfilm aus Guatemala und gleich ein Leinwandwerk, das in üppigen Bildern vom kargen Leben in den Bergen erzählt. Und von der Tochter eines armen Bauernpaars, die vor der Zwangsheirat flüchten will. Schwerer Stoff, der aber kein deprimierendes Drama ergibt, sondern bei aller Tragik auch eine Schelmengeschichte. Der junge Regisseur Jayro Bustamante hat vor der metaphorischen Kulisse eines Vulkans mit einheimischen Darstellern gedreht und zwei Frauen gefunden, die ohne Pathos und Sentimentalität, aber auf herbe Art ergreifend Mutter und Tochter spielen. Diese Frauen oder gar den gesamten Film auszuzeichnen, würde zu den politischen Ambitionen der Berlinale passen. In diesem Jahr liefen zahlreiche lateinamerikanische Filme - auch eine Doku über das Thema Wasser von Patricio Guzman, die aber einen allzu weiten Bogen spannen will.

4 Pablo Larrain: "El Club"

Der wohl härteste Film dieser Berlinale erzählt von pädophilen Priestern in Chile, die abseits der Öffentlichkeit in einer Zwangs-WG am Meer wohnen, beaufsichtigt von einer durchtriebenen Nonne. Der "Club" vertreibt sich die Zeit mit Hunderennen, doch dann taucht ein Mann auf, der als Junge missbraucht worden ist, und prangert die Männer an. Das setzt Aggressionen frei, die bald zu neuen Verbrechen führen. Der Chilene Pablo Larrain, der schon mal für einen Oscar nominiert worden ist, hat einen drastisch schwarzhumorigen Film gedreht, der seinen bitteren Witz vor allem daraus bezieht, dass die Kirche versucht, die Ermittlungen in den Fällen selbst zu führen. Und nach den eigenen Maßstäben zu urteilen. Das führt zu Zynismus und Doppelmoral - die beiden Hauptquellen des Humors in dieser Tragikomödie. Ein brisantes Thema und ein mutiger Film aus Chile, den die Berlinale belohnen könnte.

5 Malgorzata Szumowska: "Body"

Ein leises Drama aus Polen ist der heimliche Favorit der Berlinale, denn der Film ist wunderbar unaufdringlich und doch sehr klug konstruiert. Malgorzata Szumowska erzählt in "Body" von einer Tochter, die aus Abscheu vor dem Vater magersüchtig wird, von einem Staatsanwalt, der Mordopfer am Tatort begutachten muss, und von einer Psychologin, die nach dem Tod ihres Kindes in den Okkultismus abgedriftet ist und mit einem pferdegroßen Hund in einer mausekleinen Wohnung lebt. Das Thema Magersucht verbindet die drei Figuren, doch es wird nie vordergründig Motor der Handlung. Szumowska erzählt viel universeller von Menschen und deren Verhältnis zu Körpern. Und sie erzählt von den stillen, tief im Bewusstsein wirkenden Langzeitfolgen des Systemwechsels in Polen. Doch ansprechen muss sie auch das nie explizit. Ein Bär wäre eine Überraschung, aber ein Beweis für die Sensibilität der Jury.

6 Jafar Panahi: "Taxi"

Man hatte es nur für eine Geste gehalten: Erneut hat die Berlinale einen Film des iranischen Regisseurs Jafar Panahi gezeigt, der in seiner Heimat mit einem Arbeitsverbot belegt wurde. Panahi hat trotzdem gedreht, einen Episodenfilm, der ganz im Binnenraum eines Taxis spielt - mit Panahi am Steuer. Doch "Taxi" ist nicht nur die mutige Tat eines verfolgten Künstlers, sondern ein richtig guter Film, der raffiniert mit Erzählebenen spielt, zwischen Fiktion und Wirklichkeit changiert und ungefiltert, einfach durch die Windschutzscheibe, ein wenig Alltag aus dem Iran zeigt. Und weil Panahi ein humorvoller Mensch ist, ist "Taxi" auch noch unterhaltsam. Ein Preis für ihn wäre also nicht nur ein gutes Zeichen, sondern durchaus verdient.

(RP)
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