Aki Kaurismäki verteilt Faustschläge

Der finnische Regisseur hat ein Flüchtlingsdrama gedreht: Ein Syrer landet in Helsinki - viele behandeln ihn schlecht. Nicht alle.

Sherwan Haji als Khaled (l.-r.), Nuppu Koivu als Mirja, Janne Hyytiäinen als Nyrhinen, Sakari Kuosmanen als Wikström und Ilkka Koivula als Calamnius in einer Filmszene.

Sherwan Haji als Khaled (l.-r.), Nuppu Koivu als Mirja, Janne Hyytiäinen als Nyrhinen, Sakari Kuosmanen als Wikström und Ilkka Koivula als Calamnius in einer Filmszene.

Foto: dpa, scg tba

Etwas hilflos nennt man sie Lakonie, diese seltsam karge Stimmung in den Filmen von Aki Kaurismäki. Seine Figuren sind stur und sprechen wenig. Sie bewegen sich langsam und grübeln viel. Und die Welt, durch die sie sich bewegen, erscheint künstlich - zu aufgeräumt, zu leer, zu farbintensiv. Mit solchen Verfremdungseffekten hat sich der finnische Regisseur einen eigenen Kosmos geschaffen. Man erkennt seine Filme sofort am Hyperrealismus der Umgebung und der Steifheit der Figuren, an dieser skurrilen Komik, die in der Einfachheit liegt und an der Melancholie, die seine Geschichten bald entfalten. Denn Kaurismäki erzählt von gebrochenen Typen, von sonderbaren Menschen, die an den Verhältnissen scheitern. Schuld sind sie nicht, sie haben nur nicht die Flexibilität, die von ihnen gefordert ist, sie haben es versäumt, sich anzupassen. Lieber holen sie sich eine blutige Nase.

Das passiert auch in Kaurismäkis neuem Film "Auf der anderen Seite der Hoffnung". In seiner stoischen Art erzählt der Regisseur ein Flüchtlingsdrama, wie schon in "Le Havre", seinem letzten geglückten Werk aus dem Jahr 2011. Diesmal erzählt er von Khaled, einem syrischen Mechaniker, der vor dem Bürgerkrieg aus seiner Heimatstadt Aleppo flieht. Er taucht ab in die Ladung eines Kohlefrachters und landet in Helsinki - ein schwarzer Passagier, der sich erst den dunklen Staub abwaschen muss und doch der andere bleibt, den die Menschen nicht dahaben wollen.

Khaled durchläuft die Stationen eines Flüchtlings in Finnland: Er beantragt Asyl, landet im Auffanglager, haut ab, als er abgeschoben werden soll, endet als Illegaler auf der Straße hinter einer Mülltonne. Dort entdeckt ihn Waldemar Wikström, ein gescheiterter Handelsvertreter, der jetzt eine Kneipe betreibt. Der aufgeschreckte Khaled rammt dem Herrn im grauen Zwirn die Faust ins Gesicht. Der schlägt ziemlich gekonnt zurück. Schon sitzen die beiden schweigend an einem Tisch mit gestärkter Decke, begegnen einander - von Mensch zu Mensch.

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Immer wieder treibt Kaurismäki seine Geschichte auf diesen Punkt zu: Leute, die mit Khaled in Berührung kommen, müssen sich verhalten - und erweisen sich als Menschenfreunde oder Hasser. Ansehen kann man ihnen das vorher nicht. Es hat nichts mit Bildung, Reichtum, sozialer Stellung zu tun. Kaurismäki zeigt schlicht Menschen, die eine Wahl haben, und die sich so oder so entscheiden.

Es ist diese simple Beobachtung, die bei Kaurismäki große Wucht entfaltet. Denn er führt vor, wie das Schicksal eines Menschen, der in totale Abhängigkeit geraten ist, sich an der Menschlichkeit der anderen entscheidet. Kaurismäki braucht keine Helden, kein Pathos, um von Nächstenliebe zu erzählen. Er lässt nur einen Flüchtling in Finnland stranden, in der überklaren Kaurismäki-Welt, und schon gibt es keine Ausflüchte mehr, keine Abschiebegründe, Herkunftsstaatenklassifizierungen, Asylberechtigungskriterien, sondern nur noch Menschen, die einander wie Menschen behandeln. Oder eben nicht.

Zu welcher Meisterschaft es Kaurismäki in der Setzung seiner Szenen inzwischen gebracht hat, wird vor allem in jenen Episoden deutlich, da er von Wikström erzählt. Der ist aus aller Zeit gefallen. Ein Gentleman mit Einstecktuch, der Oberhemden verkauft, einen gigantischen Oldtimer fährt und beim Poker keine Miene verzieht. Dieser Mann weiß sich zu benehmen, er stammt aus einer anständigeren Zeit. Aber seine Hemden will keiner mehr. Und seine Frau trinkt. Also legt er irgendwann seinen Ehering auf den Küchentisch, räumt das Hemdenlager und fängt neu an. Er kauft den "Goldenen Krug" samt Belegschaft. Und natürlich weiß er, dass dort nichts mehr golden ist. Aber er trägt weiter seine Anzüge. Und holt Musiker ins Lokal, alte Haudegen, die ihre Kunst besser verstehen als der Koch. Und wenn sie in die Gitarre greifen, steht die Zeit still. Dann könnte alles besser werden, weil es mal besser war.

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Foto: Chris Pizzello/Invision/AP/Chris Pizzello

Kaurismäki hat keine Antworten auf die offenen Fragen in der Flüchtlingsdebatte. Er interessiert sich nicht dafür. Er beobachtet nur den Nahbereich, das Zwischenmenschliche, wenn einer, den man für illegal erklärt auf jene trifft, die den richtigen Pass in der Tasche tragen.

Kaurismäki erzählt von Machtgefälle und von Menschlichkeit, von Leuten, die sich hinter ihren Funktionen verstecken, und unbedeutenden Figuren, die das nicht tun. Immer wieder gibt es diese irdischen Engel auf Khaleds Weg, die ihm weiterhelfen. Nur, weil sie es können.

Doch das reiche Europa, das Kaurismäki da in seine Kulissen zwängt und dem unbestechlichen Blick seiner Kamera aussetzt, gibt insgesamt kein gutes Bild ab. All diese Gestrandeten in der modernen Welt sind ganz mit sich beschäftigt und ihren unbedeutenden Versuchen, in der Wirklichkeit zurecht zu kommen. Und wenn die Kneipe nicht läuft, machen sie auf Japanisch, rollen finnischen Fisch zu Sushirollen und versuchen Touristen abzuzocken. Nein, Khaled ist nicht im gelobten Land gelandet. Es ist besser als der Krieg, aus dem er floh, aber für die meisten bleibt er der Mann, der aus den Kohlen kroch. Der schwarze Passagier.

Auf der anderen Seite der Hoffnung, Finnland, Deutschland, 2017, Regie: Aki Kaurismäki, mit: Sherwan Haji , Sakari Kuosmanen, 98 Minuten

(dok)
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