Düsseldorf Er ist wieder da

Düsseldorf · Hitlers Machtergreifung als Gangsterstück: Volker Hesse macht aus Bertolt Brechts "Arturo Ui" in Düsseldorf großes Schauspielertheater.

Nackt liegt er da, der gedemütigte Mensch. Aus schwarzem Sumpf in die Welt gekrochen, beginnt er seinen Aufstieg, dieser hohlwangige, hungrige Getriebene, diese nervöse, biegsame, anämische Kreatur, dieser Blutsauger ohne Anstand und Skrupel. Bald schon wird Arturo Ui im Smoking aufs gesellschaftliche Parkett treten. Das ist in dieser Inszenierung ein sternförmiges Gebilde, gebaut aus schmalen Stegen. Darauf ist immer nur Platz für einen, kein Raum fürs Miteinander, dafür lässt sich mit den Planken prima prügeln. Doch das wird Ui niemals selbst tun, er hat willige Vollstrecker um sich geschart, die mit ihm emporwollen ans Geld und an die Macht. Und Ui wird alle Register ziehen, um sich seinen Platz auf den Brettern dieser Welt zu erobern.

Als Bertolt Brecht im finnischen Exil 1941 die Gangster-Geschichte des "Arturo Ui" schrieb, wollte er durchdringen, was in Deutschland geschehen war und ihn selbst ins Exil getrieben hatte. So schuf der Dramatiker ein Stück, das die Mechanismen des Faschismus untersucht, zeigt, wie ein Mensch mit niederen Instinkten an die Macht drängt. Er hatte Hitler im Blick, spiegelte dessen Machtergreifen aber ins Mafia-Milieu Amerikas, kreuzte den nationalsozialistischen Diktator mit Al Capone.

Der Zuschauer sollte nicht am Vordergründigen, am Zeitgeschichtlichen hängen bleiben, sondern das Zeitlose, das Typische an der Machtergreifung eines modernen Tyrannen erkennen. Das ist ja der Trick des epischen Theaters, dass es Ereignisse in fremde Zusammenhänge spiegelt, auf dass der Zuschauer Strukturen erkennen kann. Darum ist es bei Brecht auch leicht, die Gegenwart ins Stück zu blenden und anzudeuten, wo heute Einschüchterung und Gewalt aus Menschen Mitläufer machen und irgendwann auch Täter.

Volker Hesse tut das in seiner Inszenierung für die neue Ausweichspielstätte Central des Düsseldorfer Schauspielhauses durch Projektionen im wörtlichen Sinne. Da soll im Stück etwa ein Kronzeuge gegen die Mafia aussagen, wird aber vor dem Gerichtstermin ermordet. Dazu lässt Hesse Bilder des Schauspielers einblenden, wie er tot in der Wanne liegt, so wie einst der CDU-Politiker Uwe Barschel in jenem Hotel in Genf. Auch Helmut Kohl im Rollstuhl wird Hesse so ins Spiel bringen und die aktuelle Flüchtlingsdebatte. Die Mafia bei Brecht ist ja im Gemüsehandel aktiv, Ui tritt an, ein Kartell von Blumenkohlhändlern zu sprengen, um sich selbst als Schutzmacht zu installieren. Bei Hesse sind die Gemüsehändler aus aller Welt, sie sprechen Türkisch und Arabisch, tragen ihre Apfelsinen und den Kohl direkt ins Publikum, bis eine Frau aufschreit, sie sei unsittlich berührt worden. Da sind die aktuellen Ängste im Raum, die aktuellen Sündenböcke geboren.

Aber das sind nur Momente, wenn auch teilweise etwas plump plakativ. Hesse reißt nur an, übertreibt es nicht mit den Aktualisierungen, überlässt es seinen Zuschauern, Parallelen in die Gegenwart zu ziehen und die Mechanismen der Angstmache von heute zu identifizieren.

So lässt der Regisseur auch seinen Schauspielern genügend Raum -und die machen diese Brecht-Inszenierung fulminant zu ihrem Abend. Allen voran Heisam Abbas, der den Arturo Ui als bedrohliche, gehetzte, fanatische Figur spielt, als Graf Dracula aus dem Untergrund, der erst Schauspielunterricht nehmen muss, um sich in bürgerliche Kreise zu wagen. Er bleibt eine sich windende, kaum fassbare Gestalt, ein Aal aus dem Morast. Doch macht er die Laufstege, die Bühnenbildner Stephan Mannteuffel in die Mitte des Raums gelegt hat, unaufhaltsam zu seinem Terrain, indem er Angst schürt, Brände legt, Terror verbreitet und sich selbst als Retter inszeniert.

Abbas tänzelt und balanciert, er fleht und droht und räumt aus dem Weg, wer ihm in die Quere kommt. Mit unendlichen Nuancen macht er aus dieser Rolle einen körperbetonten, artistischen Akt, eine böse Zirkusnummer, und hat in Achim Buch, Maximilian Laprell und Sven Walser taugliche Gefährten. Allerdings scheint sie die banale Lust am Bösen anzutreiben und ein bisschen Gier. Fast wirkt der Aufstieg, den sie ihrem Ui ebnen, wie ein Schabernack, wie ein Scherz mit üblen Mitteln. Und so wird der Biedermann in diesem Stück, der alte Dogsborough, den Wolfgang Reinbacher famos verkörpert, kinderleicht zum Komplizen gemacht. Man muss dem braven Bürger nur ein ertragreiches Geschäft in Aussicht stellen und ein Landhaus mit Pappeln und Blick auf den See, schon ist die Moral vergessen. So einfach ist das bei Brecht, diesem Gesellschaftsmechaniker.

Volker Hesse aber fährt viele Mittel auf, um diesem Abend alles Lehrstückhafte zu nehmen. Das Spröde, Nüchterne, Analytische des epischen Theaters will er seinen Zuschauern nicht zumuten, lieber haut er auf die Pauke, dreht die Musikregler hoch, lässt mit Riesenmasken spielen, eine Opernsängerin auftreten und nutzt den von den Brecht-Erben sorgsam gehüteten, dramatischen Text, um in einer zirzensischen Anstrengung die Manipulierbarkeit des Menschen vorzuführen.

Hesse zettelt so einen packenden Theaterabend an, nie gerät er ins Dozierende, sein Brecht ist aktuell, relevant, unterhaltsam. Allerdings folgt er dem Dramatiker damit nicht in dessen Anti-Gefälligkeitsbemühen, versucht nicht, mit Konsumgewohnheiten des Publikums zu brechen, glaubt nicht an die Kraft des Sperrigen und die aufklärerische Wirkung der Irritation. Hesses "Arturo Ui" ist lustvolles Schauspieler-Theater, das in den groben Zügen einer Parabel vorführt, wie eine gewissenlose, brutale Clique Einfluss gewinnt über Menschen, die nur an den eigenen Vorteil denken. Dieser Brecht trifft die Gegenwart. Und so gab es mit ein wenig nachdenklicher Verzögerung viel Applaus.

(dok)
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