Düsseldorf Energie für das neue Jahr

Düsseldorf · Die Toten Hosen füllten vor dem Jahreswechsel zwei Mal den ISS Dome - und bewiesen mit ihrem 62. "Heimspiel", dass noch viele gute Jahre in ihnen stecken.

Immer schneller, immer höher schraubt sich die Stimme von Campino, das Dröhnen der Instrumente wird zu einem Strudel, der alles mit sich zieht. Irgendwann, als in dem Lärm eigentlich schon gar nichts mehr vom Lied "Eisgekühlter Bommerlunder" zu erkennen ist, reißt es ab, die fünf Jungs stehen im Beifall auf der Bühne. Nicht zu schade sind sie sich für das alte Trinklied, und das Publikum liebt es. Mit schnellen Punk-Nummern, gefühlvollen Rockhymnen und komischen Einlagen haben die Toten Hosen es längst für sich gewonnen - soweit das überhaupt nötig ist.

Denn ein Blick in die Menge verrät sofort, dass die Alt-Punks ihre treuesten Anhänger, aber auch neue Liebhaber mitgebracht haben. Ein grauhaarige Mann in Lederjacke, der das gesamte Konzert über fast regungslos und gebannt der teils ohrenbetäubenden Musik lauscht. Eine junge Mutter mit Palituch und ihrer kleinen Tochter, die - Baustellen-Ohrschützer auf dem Kopf - ihr Plüschpferd drückt. Das Pärchen, das das Konzert zum größten Teil auf dem Display seines Smartphones verfolgt, um sich mit der Videoaufnahme die Erinnerung für später zu sichern. Und natürlich die Hunderten Menschen, die jedes Lied nicht nur mitsingen, sondern springen, bei "Halbstark" rangeln oder zu "Tage wie diese" ihre Feuerzeuge schwenken (ja, das gibt es noch).

Sie sind die Glücklichen, die Privilegierten, die Karten für eines der lange ausverkauften Konzerte am Freitag und Samstag im ISS Dome bekommen haben. Dutzende, die leer ausgegangen sind, lauern noch bis kurz vor dem Auftritt der Vorband "Feine Sahne Fischfilet" am Eingang im Schneeregen. An ihrem hoffnungsvollen Gesichtsausdruck sind sie gut zu unterscheiden von den professionellen Schwarzmarkt-Ticketverkäufern, die dick eingepackt, mit stumpfen Gesichtern und "Suchen noch Tickets"-Schildern dem Wetter trotzen.

Jeder hat hier seine ganz eigene, kurze oder lange Geschichte mit den Hosen, und nicht bei jedem ist sie so einfach zu lesen, wie bei dem alternden Punk-Paar: Sie mit Springerstiefeln, bis auf einen stacheligen Irokesen-Schnitt kahl rasiertem Kopf, er mit weniger auffälliger Frisur, dafür in gestreifter Hose. Die beiden mischen sich unter die Karohemdenträger, Schlabberpullis und auffällig ordentlichen Anzugjacken, und langsam werden alle eins.

Heiß ist es drinnen, voller Höhepunkte das gut zweieinhalbstündige Konzert, das Campino, wie immer mit rot gefärbten Haaren, als 62. "Heimspiel" der Band ankündigt. Dort, wo sonst die Eishockeyspieler der DEG ihre Schläger schwingen, machen 10.500 Fans die Halle warm. Mit schwarzen, weißen und roten Fortuna-Trikots, DEG-Flaggen und Bandshirts der Toten Hosen aus den vergangenen Jahrzehnte erwecken sie den Eindruck, man sei nicht bei einem Rockkonzert, sondern einem Sportereignis.

Irgendwie ist es das ja auch, schaut man allein dem nimmermüden, 55-jährigen Campino zu, wenn er auf der Bühne hin und her rennt, mit gespreizten Beinen und dem Mikrofonständer in der Hand in die Luft springt, ins Mikro bellt und singt.

Schon mit den beiden rasanten Liedern "Urknall" und "Modestadt Düsseldorf" zeigen er und seine Bandkollegen, wohin die Reise an diesem Abend geht: In die rheinische Heimat der Alt-Punks, ihre musikalische Vergangenheit, aber auch zu den neuesten Höhen des aktuellen Albums "Laune der Natur". Bassist Andreas "Andi" Meurer (55), Drummer Vom Ritchie und die beiden Gitarristen Michael "Breiti" Breitkopf und Andreas "Kuddel" von Holst (alle 53) spielen "Das ist der Moment", rocken sich zum gesellschaftskritischen "Willkommen in Deutschland" hoch und werden ab "Nur zu Besuch" sogar von fünf Musikern der Robert-Schumann-Musikhochschule begleitet. Die spielen nach Mozarts "Nachtmusik" kurz auch eine Streicher-Version von "Highway To Hell" an. Überraschend treten drei Dudelsackspieler auf die Bühne, tröten "Auld Lang Syne" und lassen sich dabei rockig von den anderen Hosen-Musikern unterstützen.

Gänsehaut hatte sich zuvor bei "Unsterblich" den Rücken herauf ausgebreitet. Sie kehrt zurück, als sich aus Tausenden Stimmen im Publikum die Bandhymne "You'll Never Walk Alone" erhebt. Schon vor Beginn des Konzerts stimmten die Fans das Lied kurz an, verlangten vor einer der Zugaben dann schließlich mit ihrem Chor auch "Reisefieber", das die Band prompt spielt.

Ein Schlüsselmoment ist "Willkommen in Deutschland": "Es ist auch mein Land / Und ich kann nicht so tun / als ob es mich nichts angeht", singt Campino. 1993 war es, als das Lied auf der Platte "Kauf mich!" erschien, und vielleicht markiert es den Punkt in der Bandkarriere, an dem sich die Toten Hosen endgültig vom Anarchistischen und Hedonistischen abkehrten - was ihnen viele Punks seither übelnehmen.

Doch die sind wahrscheinlich sowieso nicht dabei, als die Mitte-Fünzigjährigen das letzte Lied anstimmen. Für die, die da sind, spielt das alles keine Rolle. Sie sind im Glück, im Rausch und genießen es, wie die Hosen ein Heimspiel zum Familienfest machen.

(bur)
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