Düsseldorf Endstation Dschihad

Düsseldorf · Düsseldorfer Uraufführung von "Paradies" wird Radikalisierungs-Lehrstück.

Es pocht in Hamids Kopf. Noch eine Stunde, dann soll er es tun: Einen Ungläubigen töten, ihm ein Messer in den Leib rammen, beweisen, dass er es ernstmeint mit dem radikalen Islam. Hamid muss sich jetzt sammeln, doch seine inneren Stimmen geben keine Ruhe, Erinnerungen werden wach. Zweifel auch. Die Zuschauer im Düsseldorfer Jungen Schauspielhaus betreten zur Uraufführung des Stücks "Paradies" von Sarah Nemitz und Lutz Hübner einen wummernden Club. Bald erleben sie, wie die widerstreitenden Gedanken des jungen Dschihadisten darin Gestalt annehmen, denn der Club, so wird am Anfang verkündet, das ist sein Kopf. Szenen aus Hamids Leben spielen sich ab: Hamid in glücklichen Kindertagen mit der Familie am Meer, Hamid lernt seine Freundin kennen, er bekommt Ärger im Jugendclub, denn er ist plötzlich fromm geworden, verzichtet auf alles, was ihm Spaß gemacht hat und will, dass alle anderen ihm folgen.

Die Dramatiker Nemitz und Hübner wollen mit ihrem neuen Stück mitten hinein in die Gedankenwelt eines Dschihadisten, wollten aus dem Innenleben des Fanatismus erzählen. Doch was der Zuschauer dann erlebt, ist der Außenblick auf die inzwischen auch soziologisch erforschten Stationen einer Radikalisierung. Ein mustergültiger Fall wird durchgespielt, doch gerade die Innenschau bleibt das Stück schuldig. So ist Hamid von Anfang an der vom Wege Abgekommene, der bösen Demagogen in die Hände fällt.

Der Zuschauer beobachtet das bekannte Muster, zu keiner Sekunde erscheint die Gedankenwelt der Islamisten nachvollziehbar attraktiv oder verführerisch. Die Videos der Hassprediger werden persifliert, ihre Parolen sind Parolen. Der Zuschauer muss sich nicht auseinandersetzen mit Kritik am westlichen Konsumglauben, mit der Wut junger Verlierer des Systems oder der Idee, dass eine radikale Tat dem ohnmächtigen Einzelnen als letzte Möglichkeit erscheinen kann, falsche Verhältnisse zu verändern. In "Paradies" sind die Terroristen verführte Kinder, denen es eigentlich gut geht - bis sie die falsche Moschee betreten.

Mina Salehpour inszeniert Hamids Lebensstationen mit fantasievollen Details und weckt viel Spielfreude beim Ensemble. Hauptdarsteller Paul Jumin Hoffmann gibt seiner Figur zwar wenig Kontur, aber aus dem Zusammenspiel mit den Kollegen, die seine Gedanken verkörpern, ergibt sich viel Dynamik. Manche Inszenierungsidee ist jedoch nur hübscher Einfall: Etwa dass die Zuschauer den Theatersaal wie Clubgänger betreten und das Stück stehend erleben oder sich irgendwo auf den Boden hocken. Das macht sie noch nicht zu Teilhabern des Geschehens. Sie bleiben Zuschauer - aus sicherer Distanz.

Info Junges Schauspielhaus, Münsterstraße 446, Karten unter Tel. 0211 8523710

(dok)
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