Düsseldorf Einsamer "Faust" im digitalen Zeitalter

Düsseldorf · Starke Ensemble-Leistung in Goethes Klassiker am Düsseldorfer Schauspielhaus.

Das hoch gewölbte, enge gotische Zimmer, das Goethe seinen Faust bewohnen lässt, ist in Düsseldorf ein Bunker. Während im Hintergrund ein Drucker kreischend eine Papierschlange ausspuckt, deklamiert Stefan Hunstein in der Titelrolle unbeirrt "Habe nun, ach! Philosophie ..." und tippt den Text zugleich in seinen Laptop. Als Projektion erscheinen die berühmten Worte simultan an der Wand. So also stellt sich Regisseur Georg Schmiedleitner "Faust I" im digitalen Zeitalter vor. Und so kann man es tatsächlich machen. Nach weniger als zwei pausenlosen Stunden beklatschte das Publikum ausdauernd vor allem einen großartigen Schauspielerabend - die letzte Premiere, bevor das Düsseldorfer Schauspielhaus zur Sanierung unerwartet lange, bis 2017, schließt.

Schmiedleitner hat das Stück gestrafft, hat die Passagen des Mephisto auf zwei männliche und zwei aufreizende, auf High Heels stolzierende weibliche Darsteller aufgeteilt und dem anfangs unmerklich agierenden Gretchen zu einem fulminanten Finale verholfen.

Zwei Seelen wohnen, ach, in der Brust des Wissenschaftlers Faust, doch in Stefan Hunsteins Interpretation wirkt der Mann etwas blass und isoliert. Dass Faust auf der Suche danach, was die Welt im Innersten zusammenhält, nur nach seinem eigenen Zusammenhalt sucht, geht dabei etwas verloren.

Das quirlige Ensemble ringsum aber macht vieles wett, wenn es die Folgen des Pakts zwischen Faust und Mephisto zu szenischen Bildern verdichtet: Mephisto will dem alle Lebenswerte verfluchenden Faust sämtliche irdischen Wünsche erfüllen. Der lebensmüde Faust verspricht dem Teufel Mephisto seine Seele, wenn es diesem gelingen sollte, Faust von seinem Leiden an der Welt zu befreien und für stetige Abwechslung zu sorgen. Und die Mephistos setzen alles daran, die Wette zu gewinnen.

Karin Pfammatter und Katrin Hauptmann wirbeln verführerisch über die Drehbühne, Jakob Schneider und Thiemo Schwarz verzerren ihre Gesichter zu befremdlich grotesken Fratzen. Konstantin Bühler gestaltet als Wagner einen wunderbar glatten Wissenschaftler ohne Skrupel. Als Gesprächspartner von Faust, der einige Morde zugunsten der Wissenschaft auf dem Gewissen hat, erweist er sich als ungeeignet.

Zum Höhepunkt der Inszenierung wird der Auftritt des blutverschmierten, dem wilden Faust sexuell hörigen Gretchen (Katharina Lütten), das die Mephistos dem Lebensgierigen zugeführt haben. Um in Gretchens Besitz zu gelangen, ermordet Faust sowohl ihre Mutter als auch ihren Bruder. Gretchen ihrerseits hat in ihrer Verzweiflung ihr Kind getötet und wartet nun im Kerker auf den Vollzug der Todesstrafe. Der Tragödie erster Teil ist beendet. Erst in "Faust II" wird Goethe seine düstere Vision vom Homunculus an die Wand malen, vom Leben aus der Retorte, dem eigentlichen Thema fürs 21. Jahrhundert.

Weitere Aufführungen am 26. und 28.12.; Kartentelefon: 0211 36 99 11

(B.M.)
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