Ausstellung "Pluriversum" Ein Museum wird Zukunftswerkstatt

Essen · Erstmals wird das multimediale Werk von Alexander Kluge ausgestellt: "Pluriversum" heißt die ekstatische Schau im Museum Folkwang.

In eine riesige Inspirationsbude hat er das Museum Folkwang verwandelt. Und dass es dabei um nicht weniger als um die vergangene Welt im Licht unserer Zukunft geht, ist bei Alexander Kluge fast eine Selbstverständlichkeit. Und jetzt also seine erste große Ausstellung, die - obgleich sich der 85-Jährige rastlos in diversen Medien tummelt - ein Wagnis ist: Die Schau mit dem hybriden Titel "Pluriversum" ist der Versuch, sein Werk in den Raum hinein zu verlängern.

Das aber hatte sich der unfassbar fleißige und vielfach dekorierte Produzent, Filmemacher, Autor und Dialogfanatiker zunächst einfacher vorgestellt. Er könne jetzt einfach alles ausstellen, was er schön findet, habe er sich gedacht. Funktioniert hat das nicht. Weil kaum etwas für die museale Darstellung brauchbar schien, hat Kluge das meiste neu gemacht: Filme, Videos und Texte; dazu hat er Gegenstände und Bilder gesucht, in Kontexte gestellt und neue Konstellationen geschaffen - wie er das nennt. Bei Alexander Kluge verwickelt sich alles miteinander, zumal er glaubt, in solchen Verstrickungen dem Wesen der Welt etwas näher auf die Pelle rücken zu können. Meistens hat er damit recht.

Wie so etwas jetzt bei Folkwang "konkret" aussieht? Der erste Großraum hat an hohen Wänden jene Stichworte projiziert, die quasi das Gerüst der Schau sein sollen. Das liest sich dann so: Philosophie der Fußsohle, Stalingrad - Das Knie, Migranten an den Ufern von Silicon Valley, Zirkus, Eigensinn, Hebammentechnik, Captain Ulysses und Arachne.

Alles Dinge, die sich in der Fantasie festkrallen und die auf der Sternkarte der Begriffe großflächig präsentiert werden, um uns die Angst vor ihnen zu nehmen. Selbst Arachne? Da hat Kluge die mythische Weberin im Sinn, die Botschaften in die Gewänder zu stricken vermochte und damit den Zorn der Götter erregte. Das geht selten gut, so auch in diesem Fall. Die Weberin wurde zur Strafe in eine Spinne und ihr Faden in ein Spinnennetz verwandelt. Der Dichter Ovid hat ihr Schicksal verewigt und mit ihr nach Meinung Kluges den Vorläufer zum Internet geschaffen. Von da aus ist es für Kluge nur ein intellektueller Katzensprung zu den Algorithmen, die er die Sirenen der Moderne nennt. Weil sie unsere Wünsche schneller erkennen werden, als wir es können.

Überall ist was los in diesem Werk und somit in den sechs Räumen, die sich der Lebenszeit als Währung widmen, dem Arbeitszimmer, dem Gedächtnis und dem titelgebenden Pluriversum der Bilder, in dem fünf Projektoren kurze Filme und Fotos an die Wände und Decke werfen. Das ist recht schwer zu erfassen, und gerade in diesen Momenten der Wahrnehmungsflut und der Informationsüberflutung erfährt man quasi im Selbstversuch, dass Alexander Kluge nie ein bildender Künstler war, sondern immer ein unruhiger Aufklärer. Keine Frage, das Werk als museal aufbereitetes Archiv ist eine nicht kleine Herausforderung.

Man muss nicht alles verstehen, nicht jeden Bezug herstellen können. Dass dem Pluriversum eine Haltung und ein Gedankenstrom innewohnt, merkt der Betrachter auch daran, dass ihn das Gezeigte nicht kaltlässt. Die vielen Bilder, Filme, Worte und Dinge lassen einen nicht los, arbeiten im Betrachter fort. Der Drang zu erzählen, ist ungebrochen groß - vom Krieg und selbst erfahrenen Luftangriff, vom Leben und vom Fingerspitzengefühl, von der Aufklärung in nächtlichen Minutenfilmen, der Überwältigung der Vergangenheit. Man kann es kaum anders sagen: An jeder Ecke lauert so eine Irritation, eine Nachdenklichkeit. Und so verharrt man am kommentarlos präsentierten Tisch in der Raummitte , auf dem ein altes Fernglas, ein große Lupe und eine altertümliche Geburtszange drapiert sind. Für Kluge ist die Welt in ewiger Verwandlung, und erst darin wird sie identifizierbar.

Vielleicht wird man diese Schau in 100 Jahren als Klassiker exakt wieder nachzubauen versuchen und sagen: So war die Welt, so wird sie sein. Mag aber auch sein, dass alles schon längst vergessen ist. Kluges pulsierendes Pluriversum ist vielfältig genug, beides für möglich zu halten.

(los)
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