"Anomalisa" Dieser Film hätte Kafka gefallen
Bittersüße Romanze zwischen zwei Puppen: Das Drama "Anomalisa" von Charlie Kaufman gibt es endlich auf DVD.
Wenn ein Film schafft, was Kino längst nicht immer schafft, wenn er eine ganz bestimmte Saite in einem zum Klingen bringt, einen versteckten Nerv trifft, dann ist dieser Film etwas Besonderes. "Anomalisa" ist so ein Film, und deshalb hat er im vergangenen Jahr weltweit die Kritiker jubeln lassen, Preise und Nominierungen abgeerntet und schrammte am Ende nur knapp am Animations-Oscar vorbei. Jetzt gibt es den Film auf DVD, und wer ihn auf der Leinwand verpasst hat, sollte ihn sich nun im Pantoffelkino ansehen - die Wirkung wird davon nicht kleiner.
Charlie Kaufmans Animationsdrama setzt im Grunde da an, wo "Up in the Air" mit George Clooney damals im luftleeren Raum einfach aufhörte - beim totalen Burn-Out eines modernen Handlungsreisenden. Michael Stone, im Original gesprochen vom Briten David Thewlis, hat einen Motivationsratgeber geschrieben. "How May I Help You Help Them" heißt das Buch, und nun fliegt er kreuz und quer durch die USA, um PR dafür zu machen. Es ist sein x-tes Hotel mit der x-ten Roomservicekarte, weißem Bademantel, Frotteelatschen, Fön.
Nichts davon macht mehr Sinn, schon lange nicht. Alle Menschen, denen Michael begegnet, tragen dasselbe leere Gesicht mit blassblauen Augen. Vom Empfangschef bis zur Kellnerin spricht jeder mit derselben sonoren Männerstimme (Tom Noonan), auch Michaels Frau und Sohn, die er jeden Abend widerwillig anruft. So schleppt Michael sich vom Queensize-Bett zur Regendusche und wieder zurück, mit erschöpft sackenden Schultern und gereiztem Gesicht. Doch da hört er durch die Wand seines Zimmers eine einzelne, wunderbare Frauenstimme.
Seit jeher lässt Kaufman seine Figuren in den Nervenzusammenbruch tanzen. Um Manipulation geht es grundsätzlich bei ihm, um Psychotyrannen und Opfer, deren Leben kunstvoll in Scherben geht wie in "Vergiss mein nicht!" oder "Being John Malkovich". Düstere Parabeln sind das, kein reines Vergnügen zu sehen, aber leicht aus dem Kopf schütteln lassen sie sich auch nie. "Anomalisa" ist Kaufmans erster richtiger Puppenfilm, und nie hatte er die Strippen so sicher in der Hand.
Ursprünglich war "Anomalisa" auf 40 Minuten geplant und entwickelte sich dann, in Co-Regie mit dem Puppen-Experten Duke Johnson, zum abendfüllenden Stop-Motion-Spielfilm. Allein für die zentrale Liebesszene brauchten Kaufman und Johnson sechs Monate. Sie ist nun mit ihren 20 Minuten das realistischste, bittersüßeste und zynischste Stück Romantik, das es im Kino seit langem zu sehen gab.
Bis dahin ist Michael auf der Jagd nach der Besitzerin jener Stimme. Er findet sie in der verhuschten Callcenter-Angestellten Lisa (Jennifer Jason Leigh), die breite Hüften und kurze Beine hat, schon von Männern verletzt wurde und ihr halbes Gesicht wegen einer Schläfennarbe hinter einem Vorhang aus Haar versteckt. Michael aber ist hingerissen von dieser Frau, die nicht nur ihre eigene Stimme hat, sondern auch ihr individuelles Gesicht, mit braunen Augen.
Er wird in dieser Nacht nicht mehr von ihr lassen. Sie wird für ihn in einer Herzstillstandszene den 80er Jahre Pophit "Girls just wanna have fun" von Cyndi Lauper singen und sich zu ihm aufs Bett legen. Michael gibt ihr den Spitznamen Anomalisa, nennt sie das einzige Du zu seinem Ich. Im Grunde aber geht es die ganze Zeit um ihn, seine unerwartete Fähigkeit, wieder zu fühlen, es ist die Auferstehung eines seelisch Toten. Aber da Geister in der Regel den Tagesanbruch nicht überstehen, ist noch nicht alles ausgestanden, es folgt noch etwas.
Kein Kaufman-Film ohne jede Menge Querverbindungen und versteckte Hinweise: "Fregoli" heißt zum Beispiel das Business-Hotel. Der Name verweist erstens auf das Bühnenstück, das Kaufman 2005 unter dem Pseudonym Francis Fregoli schrieb und auf dem der Film basiert, zweitens auf das "Fregoli"-Syndrom, das den Erkrankten glauben lässt, alle anderen seien eigentlich eine und dieselbe Person. Ein wenig Kafka steckt in den wirren Korridoren, die sich um Michael zusammenziehen, im hohlen Geraune in der Bar, den grotesk grinsenden Gesichtern, denen eine dünne Furche Stirn und Wangen trennt wie bei Holzmarionetten.
Es wäre richtig zu sagen, dass Michael ein unfassbarer Egozentriker sei und vollkommen ausgebrannt dazu. Aber es würde nicht reichen, den albtraumhaften Sog des Films zu erklären. Kaufman ist auf die Sinnlosigkeit und Leere einer Welt aus, in der Menschen nur noch aus Flugzeugfenstern starren und am Telefon pappige Clubsandwiches bestellen, anstatt mit den Menschen in Kontakt zu sein, die ihnen nahe sind. Wer jemals auf einem Hotelbett gesessen und sich gefragt hat, was er hier eigentlich soll, müsste sich in Michael wiederfinden.
Wenn nicht in ihm, dann in Anomalisa.