DVD Diesen Mädchen gehört die Welt

Der Film "Mustang" erzählt in kraftvollen Bildern vom Erwachsenwerden.

Letzter Schultag. Die Sonne scheint. Der Weg nach Hause führt am Strand entlang. In voller Schuluniform werfen sich die fünf Schwestern ins Meer. Toben mit ihren Klassenkameraden herum. Ein harmloses, ausgelassenes Spiel. Für die Großmutter ist das allerdings ein großes Drama, denn die Sittlichkeitsvorstellungen sind in dem türkischen Dorf eng gefasst. Ein Mädchen nach dem anderen verprügelt sie wegen des vermeintlich unzüchtigen Verhaltens, während die Geschwister draußen protestierend gegen die verschlossene Tür trommeln.

Eine wilde Kraft liegt in den ersten Filmminuten von Deniz Gamze Ergüvens herausragendem Kinodebüt "Mustang", in denen ein unschuldiger Moment kindlicher Freiheit zelebriert wird und zurück in die gesellschaftliche Realität fällt. Die Großmutter (Nihal Kolda), die die fünf verwaisten Enkeltöchter mit Unterstützung des Onkels (Ayberk Pekcan) großgezogen hat, lässt beim Arzt die Jungfräulichkeit der Mädchen überprüfen, entfernt Computer, Lippenstift, Telefone und Kaugummis aus ihren Zimmern, lässt die Gartenmauer erhöhen und die Fenster vergittern. Das Haus verwandelt sich in eine "Ehefrauenfabrik", in der die Mädchen einem rigiden hauswirtschaftlichen Training unterzogen werden, um nacheinander schnellstmöglich verheiratet zu werden.

Die älteste Sonay (Ilayda Akdoan) hat noch Glück. Sie hat sich verliebt, und die Eltern ihres Freundes halten um ihre Hand an. Der ursprüngliche Bewerber wird gleich an die nächste Schwester Selma (Tuba Sungurolu) vermittelt. Als das Laken nach der Hochzeitsnacht keine Blutflecken vorweist, wird sie von den Schwiegereltern gleich wieder zum Jungfräulichkeitstest ins Krankenhaus gekarrt. Auf drastische und selbstzerstörerische Weise versucht sich Ece (Elit Ican) der Hochzeit zu entziehen, und spätestens jetzt beginnt die zwölfjährige Lale die Flucht zu planen.

Filme, die sich mit Zwangsverheiratung beschäftigen, bilden nicht nur im türkischen Kino schon fast ein eigenes Genre. Das Besondere an "Mustang" ist jedoch, dass der Film die patriarchale Gesellschaft kritisiert, ohne die Mädchen als pure Opfer zu stigmatisieren. Ergüven stellt den repressiven Konventionen die wilde Kraft und Schönheit der weiblichen Jugend entgegen und findet dafür energiegeladene, poesievolle Bilder, aber auch Schauspielerinnen, die Lebenslust in sich tragen. Trotz der tragischen Ereignisse, die der Film beschreibt, lässt "Mustang" keinen Zweifel daran, dass diesen Mädchen die Welt gehört und sie sich darin ihre eigene Zukunft erkämpfen werden.

(RP)
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