Die Auszeichnungen Die gezähmten Oscars

Die Auszeichnungen · Missbrauch, Frauenrechte, Vielfalt - viele hatten auf deutliche Zeichen in der Oscarnacht gehofft. Doch nur eine Frau ergriff ihre Chance.

Die Nacht Der Erwartungsdruck war groß im Jahr von Me-Too und engagierten Gleichbehandlungs-Debatten in der Filmbranche. Viele hatten gemutmaßt, dass die 90. Vergabe der Oscars ein politisches Ereignis werden würde, dass sich das liberale Hollywood zu Wort melden und für mehr Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit eintreten würde. Doch die Oscars folgen ihren eigenen Regeln, und das sind die des Showgeschäfts. So war die jüngste Oscarnacht eine seltsam zahme Veranstaltung mit Stars, die sichtlich bemüht schienen, die Unterhaltungsmaschine geschmeidig in Gang zu halten.

Dabei traten starke Frauen auf, um Preise zu präsentieren, Jane Fonda etwa, Helen Mirren, Jodie Foster oder Jennifer Lawrence. Sie hätten die Gelegenheit gehabt, an ihre Fernsehkollegin Oprah Winfrey anzuschließen, die noch vor wenigen Wochen bei den Golden Globes eine flammende Rede gegen Rassismus und die Benachteiligung von Frauen gehalten hatte. Doch scheint der Enthusiasmus für die Sache langsam zu verfliegen. Zumindest dürften die PR-Berater ihren Stars empfohlen haben, sich lieber nicht zu sehr in die Nähe der neuen Frauenbewegung rücken zu lassen. Jedenfalls wählten viele von ihnen den Express-Gang auf dem roten Teppich, vorbei an den Reportern mit ihren Me-Too-Fragen.

So war es an Musikern wie dem HipHopper Common, in Songtexten kritische Themen aufzugreifen, etwa die Rolle des Waffenverbands NRA. Dazu standen Männer und Frauen auf der Bühne, deren Schicksal mit Me-Too, dem Krieg in Syrien oder Amokläufen an Schulen verbunden ist. Und es gab Präsentatoren wie die in Kenia geborene Schauspielerin Lupita Nyong'o und den aus Pakistan stammenden Komiker Kumail Nanjiani, die sich an die "Dreamer" wandten, also an jene Kinder illegaler Einwanderer, die US-Präsident Donald Trump am liebsten abschieben möchte. Doch die große Ruck-Rede blieb aus.

Allein die wunderbar-rebellische Schauspielerin Frances McDormand setzte ein Zeichen. Nicht nur, weil sie ungeschminkt mit Strubbelfrisur und einem aufreizend unglamourösen Kleid erschien. Mit demselben heiligen Zorn, den sie auch als kämpferische Mutter in dem packenden Sozialdrama "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" an den Tag legt, stellte sie ihren goldenen Oscar als beste Hauptdarstellerin auf den Boden und bat alle nominierten Frauen aufzustehen. Das waren erstaunlich wenige - und das Zeichen damit gesetzt. Allerdings schob McDormand dann noch den Appell nach, den stehenden Frauen und ihren Projekten eine Chance zu geben. Damit warb sie also doch wieder um die Gunst der Männer, wenn auch vorgetragen mit wunderbar widerborstigem Charme.

Die Auszeichnungen Doch vielleicht vollzieht sich der Wandel in Hollywood ja längst. Der Kreis der Nominierten zeigte jedenfalls wieder etwas mehr Vielfalt als in den Jahren zuvor. Und mit "Shape of Water" wurde ein sentimentales Märchen zum besten Film erkoren, das engagiert und ohne Zynismus, wenn auch manchem zu plakativ, von der Macht der Außenseiter und der Kraft der Liebe erzählt. Dafür bekam Guillermo del Toro auch noch den Regie-Oscar, ein Filmemacher also, der seine Dankesrede mit den Worten begann: "Ich bin ein Immigrant!" Tief gerührt sprach er von den Träumen, die er als filmbesessener Junge in Mexiko träumte und die nun wahr geworden seien. Seinen Oscar nannte er eine Tür, die nun offen stehe. Da war "Coco" bereits ausgezeichnet worden. Ein Animationsfilm, der seinen hinreißenden Knochen-Klapper-Charme aus den Bezügen zur mexikanischen Kultur bezieht. Da hat eine Community, die in den USA politisch so sehr um ihre Anerkennung ringen muss, in der Filmkunst längst Einfluss.

Frances McDormand ging aus dem Feld der Hauptdarsteller-Kandidatinnen mit Konkurrentinnen wie Meryl Streep oder Sally Hawkins zu Recht als Siegerin hervor. Bei den Männern hatten viele dem jungen Timothée Chalamet die Auszeichnung gegönnt für seinen Auftritt in "Call Me By Your Name". Doch am Ende dürfte Gary Oldman den Preis auch für sein Gesamtschaffen bekommen haben. Als Churchill in "Die dunkelste Stunde" ist er zwar kaum wiederzuerkennen, was bei Oscar-Juroren traditionell gut ankommt, doch hat man ihn schon differenzierter spielen gesehen. Nach der Verleihung versicherte Oldman dem jüngeren Kollegen aber sein überragendes Talent und prophezeite: "Du wirst hierher zurückkehren."

Sehr nachvollziehbar die Entscheidungen bei den Nebendarstellern: Allison Janney wurde für ihre ungeschminkte Darstellung einer besessenen und zugleich verbitterten Eiskunstlauf-Mutter in "I, Tonya" geehrt und bedankte sich mit einem lakonischen Kommentar zur Geschlechterdebatte: "Ich hab das ganz alleine geschafft." Sam Rockwell konnte sich gegen Mitkandidaten wie den ehrwürdigen Christopher Plummer durchsetzen, obwohl er in "Three Billboards" beängstigend echt einen rassistischen Polizisten spielt.

Verdient ist auch die Auszeichnung des chilenischen Films "Eine fantastische Frau" als bester fremdsprachiger Film. Denn die Geschichte einer Transgender-Frau, die nach dem Tod ihres Geliebten mit dessen Familie um das Recht auf Trauer ringt, ist berührend und verstörend zugleich. Bereits bei der Berlinale 2017 war der Film des inzwischen in Berlin lebenden Regisseurs Sebastián Lelio ausgezeichnet worden. Doch musste er bei den Oscars mainstream-taugliche Kandidaten wie die schwedische Kunstmarktsatire "The Square" aus dem Rennen werfen.

Der Moderator Eigentlich konnte Jimmy Kimmel froh sein, dass die Oscar-Nacht im vergangenen Jahr mit der größten Panne ihrer Geschichte endete. So konnte der Commedian im brisanten Jahr der Weinstein-Enthüllungen mit unverfänglichen, selbstironischen Witzen beginnen. Etwa, indem er den Nominierten empfahl, nicht gleich aufzustehen, wenn sie als Sieger ausgerufen würden. Doch Kimmel ließ die brisanten Themen nicht aus. Zunächst noch flapsig nannte er Oscar den einzigen geachteten Mann in Hollywood: "Hände, wo man sie sehen kann, sagt nie ein unverschämtes Wort, und vor allem: kein Penis." Später erlaubte er sich auch noch einen ernsten Moment, als er mit Blick auf sexuelle Belästigung mahnte, die Filmbranche könne Fehlverhalten nicht länger durchgehen lassen. "Die ganze Welt beobachtet uns. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn wir nicht zusammenarbeiten, dann müssen Frauen woanders Belästigung noch länger ertragen." Damit hatte der Moderator jenen widersprochen, die gerade gern darauf verweisen, dass Belästigung kein spezifisches Problem in Medienberufen sei. Gerade Menschen im Rampenlicht können Einstellungen verändern. Leider war das in der 90. Oscarnacht nicht für mehr Stars eine Verpflichtung.

(dok)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort