Düsseldorf Die Gegenwart in Millionen Videobildern

Düsseldorf · Ob Julia Stoschek in der Landeshauptstadt bleibt, ist unklar. Die Ausstellung "Generation Loss" läuft jedenfalls bis zum nächsten Juni.

Ein bisschen was hat sie von der amerikanischen Kunstsammler-Legende Peggy Guggenheim: Julia Stoschek ist - wie jene es war - international aktiv und anerkannt, sie ist eine gesellschaftliche Größe und in Gremien von wichtigen Ausstellungshäusern vertreten. So wie Guggenheim bezieht Stoschek ihre Mittel aus dem Familienvermögen. Guggenheim machte sich um die Kunst des 20. Jahrhunderts verdient, Stoschek agiert im 21. Jahrhundert.

Jetzt zeigt Julia Stoschek (42) am Stammplatz in Düsseldorf eine Jubiläumsausstellung, die sie "Generation Loss" überschreibt und vom britischen Videostar Ed Atkins einrichten ließ. Gleichzeitig stellt Stoschek durch diverse Äußerungen am Rande der Eröffnung die Landeshauptstadt als Sammlungsstandort in Frage. Herauszuhören ist: Es wird so kommen, dass sie künftig Düsseldorf zugunsten von Berlin kleiner fährt. In Berlin sei alles weitläufiger, internationaler und bedeutungsvoller. Außerdem lebt Mathias Döpfner, der Vater ihres kleinen Sohnes, dort. Wen wundert es, dass Julia Stoschek immer häufiger in der Hauptstadt weilt und aus ihrer Privatwohnung im Sammlungshaus an der Schanzenstraße in Oberkassel ausgezogen ist?

Endgültig gibt es noch kein Aus fürs Rheinland - doch erwartbar ist es. Zumal sich die Sammlerin aus vielerlei Gründen von der Stadt Düsseldorf und vom Land NRW nicht genügend bedacht vorkommt. Horcht man nach beim Land, so ist die Rede von hoher Akzeptanz und Freude über das privat finanzierte Ausstellungshaus. Nicht anders äußerst sich der städtische Kulturdezernent. Wenn immer als einzige zitierfähige Beschwerde die mangelnde Beschilderung zum Ausstellungshaus angeführt wird, dann fragt man sich, ob Stoscheks Team den richtigen Weg kannte, um die Beschilderung zu erreichen.

Ein Jahr bleibt das Haus in einer umgebauten denkmalgeschützten Rahmenfabrik, das, was es ist seit zehn Jahren: ein idealer Platz, um Video- und Medienkunst zu zeigen. Ein Jahr lang hat man als Besucher theoretisch Zeit, sich mit dem zu befassen, was gezeigt wird: 48 Werke aus den vergangenen 50 Jahren. Manche dauern 20 Minuten lang, ein auf Video transferierter 16-mm-Film läuft knapp 90 Minuten, zwei Arbeiten, darunter eine TV-Live-Schalte, sind von unbegrenzter Dauer. Videos anzugucken oder die flimmernden Installationen nimmt viel Zeit in Anspruch. Und es braucht Geduld.

Wer nicht bis zum Ende schaut, versteht nichts. Wer nichts von der Entstehungsgeschichte, dem politischen und sozialen Hintergrund der jeweiligen Arbeit weiß, kann gleich einpacken. Also laufen die Besucher in Stoscheks Räumen weniger hektisch herum als im klassischen Museum. Sie nehmen vielmehr Platz, bevorzugt im Schneidersitz auf dem Boden, um sich zu versenken. Videogucken ist etwas für Eigensinnige - mehr Freude als die ältere Generation empfindet daran die jüngere, denen die Bilder, Sounds und Nachrichten ihrer digitalen Weltzugangsmaschinen uneingeschränkt wahrhaftig vorkommen.

Der Titel der Ausstellung trifft dies alles im Kern: Unter verlorener Generation stellt sich jeder etwas anderes vor - sind die verloren, die sich nur noch digital orientieren, oder sind es eventuell doch eher die, die den Anschluss verpasst haben? Technisch betrachtet meint "Generation Loss" den Verlust von Daten nach Vorgängen wie Kopieren, Komprimieren und Umwandeln. Etwas geht immer dabei verloren, doch etwas Neues entsteht. So lautet eine Formel für den Wandel, den das Medium vital auszuleuchten vermag.

Um eine größtmögliche Vernetzung der Arbeiten zu dokumentieren, hat man die Leinwände in Kabinette nebeneinander und hintereinandergesetzt. Gläserne Soundschleusen absorbieren die Geräusche. So treffen in einem Moment Millionen Einzelbilder aufs Auge, das Gehirn arbeitet auf Hochtouren.

Arbeiten von heute stehen neben solchen mit futuristischen Bezügen, ergänzt durch historische Positionen. Klassiker sind zum Beispiel Bruce Naumans Gang entlang an den Linien eines Quadrates (1967/68) oder das Aufeinanderprallen zweier nackter Körper in einer Performance von Ulay/Abramovic (1976). Dass der Maler und Bildhauer Imi Knoebel 1972 eine Projektion über die Form von X gemacht hat, erstaunt - neben ihn hat der Kurator Klaus vom Bruch gestellt. Beeindruckend der auf die Kameralinse spuckende Paul McCarthy, die mit Musik umflossenen historischen Röntgenaufnahmen von Barbara Hammer oder die nackte Achselhöhle eines Mannes, die Wolfgang Tillmans als Stillleben inszeniert.

Videos schreiben den informellen Teil der Kunstgeschichte fort, oft sind sie brutal, abstrakt, hektisch, paradox, rituell, artifiziell, ironisch und auch höhnisch. Ein bisschen wie die Welt um uns herum.

Videokunst entspringt immer unserer Zeit.

(RP)
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