Remagen-Rolandseck Die Geburt des Unsinns

Remagen-Rolandseck · 100 Jahre nach Entstehung des Dadaismus kann man jetzt im Remagener Bahnhof Rolandseck eine Nachbildung des "Cabaret Voltaire" betreten. Die Züricher Künstlerkneipe war die Keimzelle der europäischen Unsinnsbewegung.

Erst tobte Dada in einer Kneipe, dann wurde Dada bürgerlich und bezog eine Galerie. Beide Ursprungsorte der vor 100 Jahren in Zürich gegründeten Unsinnsbewegung, die nach Europa und kurzfristig auch nach New York schwappte, sind nun im Rheinland nachzuerleben - im Bahnhof Rolandseck, in jenem Museum, das nach den Dadaisten Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp benannt und nicht weit von Köln entfernt ist. Dort rebellierte noch ein weiterer Dadaist gegen die etablierte Kunst: Max Ernst.

Angefangen hatte der künstlerische Protest gegen die bürgerliche Gesellschaft und ihren Wertekanon, die den Ersten Weltkrieg mit verursacht hatten, in der Schweiz. Die Keimzelle sah ähnlich aus wie die Nachbildung im Arp-Museum: vorn eine niedrige Bühne, rechts darauf ein Klavier, an den Wänden Kunst, dazu ein typischer Kneipengeräuschpegel, wie er jetzt dezent aus Lautsprechern schallt. Wer Klavier spielt und es auch kann, darf in die Tasten greifen.

Nur ein Teil der Bilder, die an den Wänden hängen, zierte das Original. Doch insgesamt sind die Künstler vertreten, die auch in Zürich Leihgaben zur Verfügung gestellt hatten. Überraschenderweise war diese Kunst nur teilweise eine solche, die man heute gemeinhin als Dada bezeichnen würde - wie beispielsweise das collagenhafte Gemälde "Der Weltkrieg, 1916", das nun aus dem Museum of Modern Art in New York an den Rhein gelangt ist.

Dada schmückte sich schon in seiner frühen Phase gern mit Bildern von Nicht-Dadaisten wie August Macke. Dessen "Tegernseer Landschaft" hängt hier ebenso wie grafische Arbeiten von Picasso. An der Außenwand des Kabinetts kann man sich anhand einer schwarz-weißen Großfotografie ein Bild vom Restaurant Meierei aus dem Jahr 1935 machen, jener Immobilie, in der knapp 20 Jahre zuvor die "Künstlerkneipe Voltaire" eröffnet hatte.

Ins Kabinett gegenüber lädt eine Großfotografie ein, die den Züricher Paradeplatz mit dem Sprüngli-Haus samt Lindt-Schokoladenreklame zeigt. In dieser noblen Gegend wurde Dada schon bald bürgerlich. Die "Galerie Dada" machte sich als viel beachteter, von den Nachbarn auch gehasster Ausstellungsort mit Veranstaltungen einen Namen, die weit über die bildende Kunst hinausgriffen und in denen Frauen eine hervorgehobene Rolle spielten. Tanz, Theater und Musik - Dada verstand sich als Gesamtkunstwerk. In dem Nachbau der vom Ambiente her piefigen Galerie ist diese Atmosphäre kaum noch zu erahnen.

Viel eher fühlt man sich in ein kleines Museum der klassischen Moderne versetzt, mit einem Spitzenstück, das wie das Bild von Oppenheim aus dem MoMA stammt: Giorgio de Chiricos metaphysischer Malerei "Der böse Genius eines Königs" von 1914/15 über einem Kaminofen und unter einem Kronleuchter. Daneben hat Heinrich Campendonks "Landschaft mit zwei Tieren" von 1914 Platz gefunden.

Werke aus Kubismus, Expressionismus und Pittura metafisica - was hat das mit Dadaismus zu tun? Die Antwort ist einfach: Dada war keine Stilrichtung, sondern vor allem eine Haltung.

Aufgeschlossen waren die Dadaisten gegenüber allen Strömungen, die nach neuen Ausdrucksformen suchten mit dem Ziel eines schöpferisch gestalteten Friedens. Um die beiden Pavillons der Ausstellung ranken sich Zeugnisse dieser Suche: ein Foto von den lebensreformerischen Bemühungen von Nackttänzern am Monte Verità in der Schweiz oder ein Film, der den Dada-Dichter Hugo Ball in einem kubistischen Kostüm zeigt, wie er von Zeit zu Zeit seine Hände bewegt. Von Dadas Verrücktheiten zehren die Künstler aller Art noch heute.

(B.M.)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort