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Köln Die Bücher-Helden der Jugendlichen

Köln · Dass Kinder und Jugendliche nicht mehr lesen, ist ein Vorurteil. Die neuen Medien gehen nicht zulasten des Buchs. Der Anteil der Jugendlichen, die regelmäßig lesen, ist stabil.

Köln: Die Bücher-Helden der Jugendlichen
Foto: Ferl

Das erste Jahr an der Junior High ist etwas Besonderes für einen amerikanischen Teenager. Dort entscheidet sich, ob er zu den coolen Jungs gehört, die die schicken Football-Jacken tragen, oder doch eher der nerdige Typ wird, der sich im Schachclub anmeldet und gerne an Erfindungen tüftelt. Greg Heffley ist ein solcher Teenager, der gerade mit der Junior Highschool begonnen hat. Von seiner Mutter bekommt er ein Tagebuch, mit dem er erst gar nichts anfangen kann. Trotzdem schreibt Greg irgendwann seinen ersten Eintrag - wenn auch skeptisch. Und beschließt, daraus seine Memoiren zu machen, wenn er reich und berühmt ist. Das erste Werk der Reihe "Gregs Tagebuch" des Autors Jeff Kinney erschien in Deutschland 2009.

Inzwischen sind zehn Bücher über den amerikanischen Schüler auf dem Markt. 2015 waren neun der zehn unter den Top Ten der meistverkauften Titel des Jahres in der Kategorie Jugendbuch. Es gibt sie also doch noch, die Bücher und Autoren, die Jugendliche mit ihren Geschichten fesseln. "Gregs Tagebücher machen Spaß, sie sind eine Mischung aus Comic und Text", sagt Margit Müller von der Arbeitsgemeinschaft der Jugendbuchverlage. Damit würden vor allem die Jungs angesprochen, die im Vergleich zu den Mädchen eher weniger lesen, weil sie ihre knapp bemessene Zeit lieber auf dem Fußballplatz verbringen oder am Computer.

Spannend, humorvoll und nicht allzu deprimierend müssen Bücher sein, damit Jugendliche sich dafür interessieren, weiß Katja Dahmen von der Buchhandlung Fischer in Jülich, die vergangene Woche zu Gast bei einer Podiumsdiskussion des Verlags Bastei Lübbe war. Gemeinsam mit dem Bestsellerautoren Stephan Grünewald, der 23 Jahre alten Vollzeit-Bloggerin Sara Bow, der Journalistin Margarete von Schwarzkopf und dem stellvertretenden Chefredakteur der Jugendzeitschrift "Popcorn", Jürgen Winzer, diskutierte Dahmen über die Zukunft von Kinder- und Jugendbüchern. Der Verkauf des Genres ist kein Selbstläufer mehr, das wissen die Experten in der Runde.

Die gute Nachricht: Es gibt nach wie vor Helden, die Kinder und Jugendliche begeistern können. Früher waren es Winnetou und Old Shatterhand, heute sind es Greg Heffley und Percy Jackson. Von ihnen profitieren nicht nur die Spieleindustrie und Hollywood, sondern auch die Buchhandlungen selbst: "Bei uns werden dank Percy Jackson sogar trockene Erzählungen rund um die griechische Mythologie von Jugendlichen nachgefragt", sagt Katja Dahmen. Und die sogenannte Generation Smombie (das Kofferwort aus "Smartphone" und "Zombie" wurde 2015 zum Jugendwort des Jahres gewählt) "liest das Buch am liebsten in klassischer Form, ohne Ablenkung durch WhatsApp oder SnapChat", sagt Grünewald.

Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die mit einer bestimmten Häufigkeit gedruckte Bücher lesen, ist seit 1998 mit geringfügigen Schwankungen absolut stabil geblieben. "Trotz des raschen und intensiven Anwachsens in der Nutzung digitaler Medien", sagt Simone Ehmig von der Stiftung Lesen. Eine Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest belegt Ehmigs These: 1998 lasen 38 Prozent der Jugendlichen im Alter von zwölf bis 19 Jahren täglich oder mehrmals pro Woche. 2014 waren es 39 Prozent. Bei ihren Umfragen stellten die Forscher außerdem fest, dass etwa 20 Prozent mehr Mädchen lesen als Jungs.

Bücher liegen also nach wie vor im Trend: Rund ein Sechstel des Umsatzes im Gesamt-Buchmarkt wurde 2015 mit Kinder- und Jugendbüchern gemacht. Besonders beliebt war die Kategorie Spielen und Lernen, die ihren Umsatz um elf Prozent steigern konnte. Die digitalen Medien gehen also nicht zulasten des Lesens. Drei von vier Kindern unter 16 Jahre nehmen sogar Bücher mit in den Urlaub. Durchschnittlich verbringen die Zehn- bis 17-Jährigen zweieinhalb Stunden pro Woche mit Lesen, die 18- bis 29-Jährigen haben mit eineinhalb Stunden pro Woche die wenigste Zeit fürs Lesen übrig.

Zum Vergleich: Das Fernsehen hat bei den 12- bis 19-Jährigen eingebüßt. 1998 schauten täglich oder mehrmals pro Woche 95 Prozent der Jugendlichen TV, 18 Jahre später sind es nur noch 83 Prozent. Eine Vorbild-Rolle beim Lesen spielen die Eltern. Kinder gucken sich das Leseverhalten von Mama und Papa ab. 250 Väter und Mütter nahmen 2014 an einer Vorlesestudie teil. 41 Prozent der Befragten gaben an, dass sie mehrmals pro Woche ihrem Kind vorlesen. Erschreckend: Elf Prozent der Befragten sagten, dass sie nie ihren Kindern vorlesen. Eltern haben großen Einfluss auf ihre Kinder beim Lesen. So war es auch bei Sara Bow. Ihr Vater brachte sie dazu. Inzwischen betreibt die Modebloggerin sogar einen extra Youtube-Channel, in dem sie regelmäßig Buchtipps gibt. "Für mich eine willkommene Abwechslung zum oberflächlichen Beauty-Gequatsche", sagt die 23-Jährige.

Auch wenn die Zukunft des Kinder- und Jugendbuchs alles andere als hoffnungslos ist, der Buchmarkt in Deutschland hat es insgesamt schwerer. Nach Angaben des Börsenvereins des deutschen Buchhandels lag der Gesamtumsatz im Buchmarkt 2014 bei 9,32 Milliarden Euro. Damit machte er ein Minus von 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Fast ein Drittel des Buchmarktes gehört dem Unterhaltungsbuch-Sektor - 2014 wurden 14.111 Neuerscheinungen verkauft. Fast zehn Prozent weniger als noch 2013. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat außerdem herausgefunden, dass Frauen häufiger E-Books kaufen - 2014 legten 59 Prozent ein digitales Buch in den Warenkorb. Seit 2011 hat sich der E-Book-Verkauf mehr als versechsfacht - von 4,3 Millionen Exemplare auf 28,8 Millionen.

Dass Jugendbücher nicht nur Jugendliche ansprechen müssen, zeigt das Phänomen Harry Potter. Mit ihm ist nicht nur eine ganze Generation groß geworden, auch Erwachsene haben schnell Gefallen gefunden an dem jungen Zauberlehrling. "Ein- und dasselbe Buch kann ganz verschiedene Motive ansprechen", sagt Autor Stephan Grünewald. Jungs zwischen elf und zwölf Jahren würden vor allem von Superkräfte träumen, Mädchen in diesem Alter hätten eine Sehnsucht nach Stabilität. "Das äußert sich meist in dem Wunsch nach Dystopien", sagt Katja Dahmen. Gleichzeitig hätten diese Mädchen Wut in sich, weil alles, was ihnen gerade Halt gibt, zerbrechen kann. Und nur ein paar Jahre später seien diese Mädchen wieder handzahm - auf der Suche nach dem Prinzen, der irgendwann vor der Tür steht.

(RP)
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