Christmann Deutschland wird ein Rotweinland

Geisenheim · Weintrinker lieben besonders die Unberechenbarkeit des Weines. Jedes Jahr überrascht er mit neuen Resultaten und Qualitäten. Diesmal allerdings scheinen sich die Experten überraschend einig zu sein: Der 2015er - der im kommenden Jahr abgefüllt wird - dürfte ein großer Jahrgang werden. Um sicher zu gehen, befragten wir die 56-jährige Professorin Monika Christmann, die das Institut für Önologie an der Hochschule Geisenheim leitet und seit einigen Monaten auch Präsidentin der Internationalen Organisation für Rebe und Wein ist.

Dem Wein-Jahrgang 2015 geht schon jetzt ein großer Ruf voraus. Was ist dran an den Vorschusslorbeeren?

Christmann In den Kellern zeigt sich mit der Vielfalt der Aromen und der Harmonie der Weine, dass es ein absolut vielversprechender Jahrgang wird - und das in allen deutschen Weinbauregionen.

Welche Arbeit steht jetzt in den Kellern der Winzer an?

Christmann Na ja, die Gärungen gehen jetzt langsam zu Ende, bei einigen sind sie schon durch. Dann bleiben die Weißweine oft noch ein bisschen auf der Hefe liegen, das sorgt dann für mehr Komplexität. Das ist auch eine Art Ruhezeit zur Selbststabilisierung der Weine. Bei den Rotweinen startet jetzt der biologische Säureabbau und dann muss der Wein ebenfalls reifen. Bei den Weißweinen wird meist bis Ostern mit der Füllung begonnen.

Aber die Erträge sollen diesmal geringer ausfallen. Werden die Weine für uns also teurer?

Christmann Das wird endlich auch mal Zeit. Die Preise hätten schon in den vergangenen Jahren für Winzer weitaus attraktiver sein können und müssen, wenn man bedenkt, welcher Aufwand dahintersteckt. Diese Arbeit war zum Teil unterbezahlt.

Ist das Jahr 2015 vergleichbar mit dem grandiosen Jahrgang 2003?

Christmann Das Jahr 2003 war unheimlich warm; und für viele Weine war es eigentlich schon zu viel, etwa für manche Weißweine. Diesmal werden die Weine in ihrem Alkoholgehalt aber weitaus moderater sein. Wobei das Thema Alkohol - auch wegen der ansteigenden Temperaturen - in den kommenden Jahren uns weiter beschäftigen wird.

Dann könnte Deutschland sich zu einem formidablen Rotweinland mausern?

Christmann Nach den Prognosen werden wir durchaus für andere Rotweinsorten gut geeignet sein; also neben Spätburgunder und Portugieser werden das auch kräftige Rotweinsorten sein können wie Merlot.

Dafür dürfte es dann bei den Weißweinen heikel werden?

Christmann Da bieten sich als Alternativen Sauvignon Blanc oder auch Chardonnay an. Die vergangenen Jahre waren zwar optimal für Rieslinge, aber die Temperaturen werden weiter ansteigen und sich in Bereiche entwickeln, in denen auch andere Sorten sehr gut zurechtkommen. Was wir generell beobachten konnten, ist ein deutlicher Anstieg der Alkoholgehalte. Und dann fangen Weißweine irgendwann an, brandig zu schmecken. Die wunderbare Leichtigkeit eines Mosel-Kabinett-Rieslings vor 20 Jahren, die gibt es heute nicht mehr. Vielleicht ändert sich auch die Stilistik des Rieslings.

Verschieben sich damit auch die Weinanbaugebiete - in Richtung Norden?

Christmann Natürlich. Schweden und Dänemark sind inzwischen offizielle Weinbauländer der EU. Das hätte doch vor zwei Jahrzehnten niemand für möglich gehalten.

(los)
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