Porträt Skunk Anansie Der zarte Zorn der Skin

"Hedonism" hieß das Lied, das die britische Band Skunk Anansie um Sängerin Skin vor 20 Jahren berühmt machte. Dabei lag ihnen nichts ferner, als das leichte und schöne Leben zu feiern. Nun sind sie mit neuem Album zurück.

Die Musikwelt Mitte der 90er Jahre: Grunge hatte die Rockmusik auf immer verändert. Oder, weniger dramatisch, hatte eine Brücke zwischen Underground und Mainstream geschlagen. Rock konnte wieder gesellschaftspolitische Botschaften vertreten, ohne dabei oberlehrerhaft und fad zu wirken. Während sich Großbritannien auf das Britpop-Duell zwischen Oasis und Blur vorbereitete, tauchte in London eine Band auf, die genau das beabsichtigte: Skunk Anansie.

Erst war da ein Rumoren, Gerüchte von einem explosiven Quartett mit einer glatzköpfigen Frau am Mikrofon, die über Babyhakenkreuze sang. Im Zukunftsthriller "Strange Days" tauchten ihre Lieder prominent auf und nach ihrem Debüt "Paranoid & Sunburnt" galten sie als die vielversprechendsten Newcomer des Landes. Das Versprechen lösten sie mit "Hedonism (Just Because You Feel Good)" ein: eine tieftraurige und dennoch erzürnt vorgetragene Ballade, einer der Songs, die heute auf jeder 90er-Jahre-Feier laufen. Plötzlich waren Skunk Anansie in aller Munde.

Man sprach über ihren Namen, der auf eine mystische afrikanische Gottheit und eine Cannabissorte verwies. Man sprach über die Musik, eine Mischung aus dem damals angesagten Crossover-Sound, Punk, Funk, Elektro und Stadionrock. Man sprach über die Texte, die sowohl explizit gegen Rassismus, Sexismus und Faschismus austeilten wie auch von unglücklichen Lieben erzählten. Vor allem aber wurde über Skin gesprochen, Sängerin, Texterin und Herzstück der Band.

Denn Skin, mit bürgerlichem Namen Deborah Anne Dyer, lief den Vorstellungen eines Rockstars zuwider: eine androgyne, bisexuelle, schwarze Frau in Camouflagehosen und schweren Docs. Die in einer Sekunde ihren Zorn herausschrie und sich in der nächsten verletzlich und sensibel zeigte. Ein Rollenmodell, das es bis dato nicht gegeben hatte. Zwei erfolgreiche Alben folgten, die Band spielte als Headliner des berühmten Glastonbury Festivals, trat vor dem Dalai Lama auf und vor Nelson Mandela.

Als die 2000er Jahre anbrachen, hatten Skunk Anansie genug. Genug Platten verkauft, genug Bühnen bespielt, genug Konventionen gebrochen. Sie gingen auseinander, weil es in der Band, wie sie später in einem Interview erklärten, "einen Gallagher-Diktator, eine Yoko Ono und sogar einen Pete Doherty" gab. Skin veröffentlichte zwei dancelastige Soloalben, arbeitete als Model und DJane. Auch der Rest der Band machte weiterhin Musik. Aber eben nicht mehr in der erfolgreichen Konstellation.

2009 kündigte ihre Plattenfirma ein Best-of an. "Ihr könnt daran mitarbeiten oder nicht, wir machen das auf jeden Fall", erklärten die Verantwortlichen der Band. Zögernd kamen die Vier zusammen. Menschlich passte es inzwischen wieder. Aber musikalisch nicht. Die neuen alten Skunk Anansie brauchten Monate, bis sie auch eine musikalische Verbindung fanden. Resultat war das Comeback-Album "Wonderlustre", zwei Jahre später folgte "Black Traffic". "Anarchytecture" ist nun das sechste Studioalbum der Band, das dritte nach der Wiedervereinigung. Skunk Anansie haben in den 10er Jahren nun genau so viel Musik gemacht wie in den 90ern. Ein Phänomen sind sie nicht mehr, eine Ausnahmestellung haben sie nicht inne, trotz weiterhin gut besuchter Tourneen.

Die neue Platte vereint, wie man so sagt, die Stärken der Band: alternativer Hardrock mit Elektronikeinschüben, über denen das einzigartige Falsett der Sängerin wütet und wehklagt. Das Besondere an Skunk Anansie war stets der Spagat zwischen Alternative und Mainstream, zwischen Kampf und Versöhnung, Zorn und Trost. Einerseits war da mit Skin eine Frontfrau, die kompromisslos gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeiten ansang. Andererseits gab es zugängliche Balladen wie "Secretly" und "Hedonism": Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Gitarrensolo, 2x Refrain, ein Liebeskummerlied in drei Minuten dreißig, dem typischen Radioformat.

Vielleicht war es Absicht der Band, den Menschen Subversives mithilfe bewährter Mechanismen nahezubringen. Musik als eine Art Infiltration des öffentlichen Raums. Damit das gelingen kann, braucht es die richtige Balance: Sowohl das Zugängliche wie auch das vermeintlich Ungewohnte muss Platz haben. Auf "Anarchytecture" kämpfen Skunk Anansie um dieses Gleichgewicht. Und machen dabei mehr Zugeständnisse als zu früheren Zeiten. Die 90er Jahre sind vorbei.

(RP)
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