Osnabrück Der umstrittene Friedenspreisträger

Osnabrück · Der syrische Dichter Adonis bekommt am Freitag den Erich-Maria-Remarque-Preis der Stadt Osnabrück. Das hat eine Debatte ausgelöst - weil Adonis sich nicht klar gegen das Assad-Regime stellt.

Sie hätte so schön werden können: die Feierstunde im Friedenssaal des historischen Rathauses zu Osnabrück. Mit einem großen syrischen Dichter als Preisträger, der sich zur Tradition bekennt und die Moderne liebt. Ein poetischer Friedenspreis in Zeiten eines nicht enden wollenden Krieges. Stattdessen hat die Preisverleihung selbst einen Meinungskrieg entfacht. Denn der zu Ehrende Adonis kann sich eine Friedenslösung in seiner Heimat nur mit dem Diktator Assad vorstellen.

Der Geist des 85-jährigen Dichters allerdings ist so vielschichtig, dass es schwerfällt und auch selbstgerecht erscheint, die Preisverleihung sofort als Skandal zu brandmarken. Denn eigentlich ist Adonis - aus europäischer Sicht - einer von uns: ein spätes Kind der Aufklärung, ein kompromissloser Verfechter der Moderne. Von Martin Heidegger übernahm er die Kritik an einer Welt, die durchtechnisiert und damit sinnentleert wurde; und bei Friedrich Nietzsche lernte er fundamentale Religionskritik, die ihn zum Laizisten und Verfechter der Trennung von Staat und Religion machte.

In den Essays des arabischen Dichters finden sich so bemerkenswerte Sätze wie diese: "Es wird keine Erneuerung geben, solange die Religion nicht aufhört, ein kulturelles, gesellschaftliches und politisches System darzustellen." Vor allem geht es ihm um die Suche nach Wahrheit, die in der Dichtung immer etwas Instabiles habe. Für Adonis steht die Poesie für Wandel, der Glaube hingegen für alles Unveränderliche. "Religion antwortet, Dichtung dagegen fragt", schreibt er. Eine Gesellschaft aber, die religiöses Denken verinnerlicht, kann nach seinen Worten unmöglich Modernität akzeptieren. Dabei geht es ihm gar nicht um eine Erneuerung des Islams als Religion; aber man müsse lernen, ihn neu zu betrachten. Die überraschende Quintessenz seiner Betrachtung: Die Muslime sind es, die sich erneuern müssen.

Seit 1960 lebt Adonis in Paris, wo er später eine Wohnung bezog, die auch Ausdruck seines avantgardistischen Denkens ist: in einem Wohnsilo des Wolkenkratzervororts La Défense. Auch aus der Distanz hat der Dichter, der sich seit seinem ersten Lyrikband nach dem phönizischen Frühlingsgott Adon benannte, sich auch über seine syrische Heimat Gedanken gemacht. Und dabei finden sich bei ihm Überlegungen, die man bedenkenlos teilen kann. Etwa zur Baath-Einheitspartei, die 1963 durch einen Militärputsch an die Macht kam. Die Vorherrschaft einer einzigen Partei ist für ihn ökonomisch, kulturell und gesellschaftlich "auf katastrophale Weise" gescheitert. "Divergenz, Vielfalt und Pluralismus sind unverzichtbare Voraussetzungen für das menschliche Zusammenleben", schreibt Adonis, fordert freie Wahlen und ruft Intellektuelle in Syrien auf, sich mit Menschenrechtsorganisationen und zivigesellschaftlich-säkularen Kräften an einen Tisch zu setzen.

So weit, so gut - und so friedenspreiswürdig. Doch die Kritik des Dichters macht ausgerechnet vor Assad halt. Zwar dürfe die herrschende Staatsmacht nicht länger politischer Akteur sein; doch müsse ihr die Rolle eines "Schiedsrichters" zukommen. "All diese Fragen müssten von Präsident Assad zum Gegenstand intensiver Debatten erkoren werden, und zwar im Zuge eines allgemeinen nationalen Dialogs", so Adonis. Dagegen ist das Eingreifen der Amerikaner und Europäer in den syrischen Konflikt "an Absurdität und Lächerlichkeit" nicht zu überbieten. Solche Worte sind es wahrscheinlich, die das Stockholmer Komitee Jahr für Jahr davor zurückschrecken lässt, ihm den Literaturnobelpreis zu geben.

Aber wie soll und kann man das unter einen Hut bringen? Vielleicht liegt es an seiner Abstammung, wie manche Adonis-Verteidiger - unter ihnen der frühere Hanser-Chef Michael Krüger - anführen. So ist der Dichter Alevit, wie das Herrscherhaus. Vielleicht spielt aber auch ein wichtiges Erlebnis aus Kindertagen des späteren Poeten eine gewichtige Rolle. Als nämlich der erste Präsident Syriens, Shukri al-Quwatli, das Alawitengebirge bereiste, wurde der junge Adonis ausgewählt, ein Gedicht vorzutragen. Das beeindruckte den Herrscher derart, dass er dem vierzehnjährigen Sohn eines Imam den Besuch einer weiterführenden Schule der französischen Laienmission finanzierte. Der wird zur aufregenden Begegnung mit der abendländischen Kultur, zu einem Sprung in die weite und unfassbare Welt der Moderne.

Der kleine Ali Ahmad Said und spätere Adonis hat das dem Präsidenten nicht vergessen. Und vielleicht hat er diesen Dank auch auf einen seiner Nachfolger übertragen, auf Assad, dem man eine Vermittlerrolle freilich nicht mehr zugestehen will. Erst recht nicht im Vortrag einer Friedenspreisrede.

(los)
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