Der Herr der zehntausend Jahre

Christoph Ransmayr lässt in seinem neuen Buch die Uhren langsamer schlagen.

"Geschichten ereignen sich nicht", sagt Christoph Ransmayr gern, "Geschichten werden erzählt." Sein aktueller Roman ist ein gutes Beispiel dafür. In Peking in der Verbotenen Stadt bewunderte der Schriftsteller die astronomischen Uhren, die der englische Juwelier James Cox im 18. Jahrhundert für den Kaiser von China gefertigt hatte. Beide sind sich nie begegnet. In seinem neuen Roman "Cox oder Der Lauf der Zeit" aber lässt Ransmayr den Kaiser und den Juwelier dennoch aufeinanderprallen. Zwar gibt er dem Helden einen anderen Vornamen und nennt ihn Alister Cox, um das Ganze als Fiktion zu kennzeichnen. Die Geschichte aber hätte sich durchaus so ereignen können.

Nach dem Tod seiner geliebten Tochter Abigail und dem Verstummen seiner Frau Faye kommt dem Uhrmacher Cox die Einladung nach China gerade recht. Zusammen mit drei Kollegen macht er sich auf den Weg und richtet sich in der Verbotenen Stadt eine Werkstatt ein, um die Wünsche des Kaisers zu erfüllen. Der Herrscher aber lässt sich in den ersten Wochen allerdings gar nicht sehen.

Endlich erreicht sie doch ein Auftrag: Sie sollen eine Uhr konstruieren, die die Zeit eines Kindes anzeigt. Danach eine, die das Zeitgefühl eines Sterbenden wiedergibt. Das alles aber ist nichts gegen das, was der Kaiser dann von ihnen verlangt: "ein Uhrwerk, das die Sekunden, die Augenblicke, die Jahrhunderttausende und weiter, die Äonen der Ewigkeit messen konnte und dessen Zahnräder sich noch drehen würden, wenn seine Erbauer und all ihre Nachkommen und deren Nachkommen längst wieder vom Angesicht der Erde verschwunden waren". Cox und Gefährten machen sich ans Werk, tüfteln einen Chronometer aus, der mittels Quecksilbersäulen durch Luftdruck angetrieben wird. Eine Art Perpetuum mobile.

Sie erfinden ein endlos schlagendes Uhrwerk. Allein ihr Übersetzer Kiang bleibt misstrauisch: Nennt sich der Kaiser von China doch auch Herr der zehntausend Jahre. Mit ihm begann die Zeit, mit ihm wird sie enden. Gibt es aber eine Uhr, die dauerhafter ist als der Herr über die Zeit, so schrumpft dieser zum einfachen Menschen, einem von vielen.

Wie ein Märchen mutet die Geschichte an, die Christoph Ransmayr in seinem fünften Roman erzählt. Manchmal wirkt es, als wolle er die Zeit stillstehen lassen. Ransmayr selbst sieht das Verrinnen der Zeit nicht nur als Verlust, könne Erfahrung doch so manches Manko aufwiegen, sagt er. Den neuen Roman habe er so schnell geschrieben wie bisher noch keinen. Auf die Frage, ob dann bald mit einem neuen Roman zu rechnen sei, es nicht wieder zehn Jahre dauere, antwortet er allerdings: "Ich hätte nichts dagegen, alle zwei Jahre einen Roman zu einem guten Ende zu bringen. Aber das kann ich nicht, weil es nicht mein Tempo ist - und sich auch keines meiner Themen im Eiltempo abhandeln lässt. Ich schreibe schließlich nicht bloß darüber, dass ich 1,91 Meter groß und leicht übergewichtig bin."

(RP)
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