Porträt Liam Gallagher Der ewige Rüpel

Oasis: Längst Geschichte. Beady Eye: Aufgelöst. Liam Gallagher ist nun also frei für ein erstes Soloalbum. Doch kann es dem Mythos des ewigen Großmauls aus Manchester mit der einzigartigen Stimme etwas Neues hinzufügen?

Es gibt ein wunderbares, nur 30 Sekunden kurzes Video, in dem Liam Gallagher Tee kocht. Er steht in der Küche, gießt heißes Wasser auf und flucht, jedes zweite Wort ist "fucking". Dabei erklärt er, dass in den 1990er Jahren vier Bedienstete den Tee für ihn zubereiteten, er das heute aber selbst machen müsse, weil niemand mehr Platten kaufe, sondern nur noch Schuhe. "Deshalb gibt es keine Rock'n'Roll Stars mehr", sagt er am Ende. "Fuckers."

Diese 30 Sekunden sind eine weitere Episode, die perfekt zum Bild eines Typen passt, dessen Bruder ihn einmal "einen zornigen Mann mit Gabel in einer Welt voller Suppe" nannte. Im Englischen gibt es den Begriff des Lads. Ursprünglich stand das für die Arbeiterschicht aus den Stahlfabriken im Norden, später waren damit gute Freunde gemeint, Kumpel würde man im Deutschen sagen. In den 90er Jahren kam eine weitere Bedeutung dazu. Nun bezeichneten sich damit auch Männer aus der Mittelschicht, die sich fürs Flegeln, Saufen und Prügeln begeisterten. Gallagher wäre die Idealbesetzung für einen solchen Lad.

Für Matt Groening, Erfinder der Simpsons, ist eine archetypische Figur eine, die man sofort an der Silhouette erkennen kann. Auch Liam Gallagher wäre ein solch klar definierter Schattenriss: sein starres Stehen am Mikro, Blick anmaßend in den Himmel gerichtet, Hände hinter dem Rücken verschränkt, eine ebenso arrogante wie eindrucksvolle Pose.

Dieses Bild war von Beginn an da. Anfang der Neunziger gründete Liam, der sich eigentlich nichts aus Rockmusik machte und erst auf einem Stone-Roses-Konzert eine Art Erweckungserlebnis hatte, Oasis. Sein fünf Jahre älterer Bruder Noel kam später dazu: weil er Songs schreiben konnte. Der Rest ist Geschichte: Die 1990er Jahre, Großbritannien, Rockmusik ist ohne Oasis nicht zu denken; die Reminiszenzen an die Beatles, der Schlagabtausch mit Blur, Britpop, alles längst elementare Erinnerungen der Musikgeschichte.

Und neben der Musik ging es dabei immer auch um die konfliktreiche Konstellation zweier sehr unterschiedlicher Brüder: Der eine ein begnadeter Songschreiber, der andere, einfacher gestrickt, mit einzigartiger Stimme. Und beide mit einem Ego groß wie das Empire. Erstaunlich, dass Oasis dennoch fast zwei Jahrzehnte durchhielten. Danach machten die Brüder mit anderen Musikern weiter, der eine eben mit einer weniger prägnanten Stimme, der andere mit weniger originellen Songs.

Nicht ohne Grund hatte es gedauert, bis es ein von Liam geschriebenes Lied auf eine Oasis-Platte schaffte. Noel merkte dazu süffisant an, dass er Liams ersten Song nur aufs Album genommen hatte, weil er seinen Bruder nicht "entmutigen" wollte. Im Laufe der Zeit kamen weitere Stücke dazu. Auch für sein Soloalbum "As You Were" komponierte Liam eigene Lieder, holte sich am Ende aber Unterstützung von außen. Wieder sind die typischen Akkorde zu finden, die Auflösung von Dur in Moll, die Pubrockriffs, die psychedelischen Abschweifungen. Dazu die Beatlesreferenzen - in der Single "Chinatown" ist es die Zeile "Happiness is still warm gun". Im Video läuft Gallagher durch ein in güldenes Abendrot getauchtes London, kitschig-romantische, fast versöhnliche Bilder. Doch ist sein Gesichtsausdruck so verkniffen, dass selbst Richard Ashcroft sicherheitshalber zur Seite springen würde.

Diese Verkniffenheit zeigte sich auch beim One Love Manchester, der Benefizveranstaltung für die Opfer des Anschlags vom Ariana-Grande-Konzerts im Mai. Gallagher stand mit Chris Martin von Coldplay auf der Bühne und sang - Hände hinter dem Rücken, Blick in den Himmel - "Live Forever". Zuvor hatte er seinen Bruder für dessen Fernbleiben als "sad fuck" beschimpft, ohne zu wissen, dass dieser die Tantiemen von "Don't Look Back in Anger" für die Familien der Hinterbliebenen gespendet hatte.

So ist jede Geschichte über Liam auch eine Geschichte über Noel. Und jedes Soloalbum der beiden Platzhalter für ein nächstes Oasis-Album. Dabei hätte Liam, wie er behauptet, nichts gegen eine Reunion, wenn nur Noel nicht "in einer Celebrityblase der aufgemotzten Egos und Superstars" leben würde. In wenigen Wochen veröffentlicht Noel mit seiner Band High Flying Birds ebenfalls eine neue Platte. Scheint so, als ob die Kommunikation zwischen den Brüdern momentan nur auf diese Weise möglich ist.

(RP)
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