Dem Himmel so nah

Das Werk des niederländischen Malers Hieronymus Bosch ist voller Höllenqualen. Ein Bild aber schenkt österliche Hoffnung: die Aufnahme der Seligen in den Himmel.

Ausgerechnet Hieronymus Bosch. Ausgerechnet also der sogenannte Höllenmaler, der vor über 500 Jahren die Menschen mit ihren grotesken Albträumen malend konfrontierte. Mit all seinen Fabelwesen und den fantastischen Quälgeistern, die scheinbar einzig dazu ersonnen wurden, uns Menschen zu tyrannisieren und zu malträtieren. Viele Bilder des aus 's-Hertogenbosch stammenden Hieronymus Bosch (1450-1516) sind Wimmelbilder des Grauens.

Dieser Bosch aber - der als formidabler Apokalyptiker so wenig Hoffnung gibt - hat uns eins der tröstlichsten, himmlischsten Auferstehungsbilder geschenkt. "Die Aufnahme der Seligen in den Himmel" heißt sein Werk, das zu den vier Jenseitsdarstellungen aus dem Jahr 1510 gehört. Darin findet sich nichts mehr von seinem illusionslosen Blick auf das Ende unserer Existenz. Bosch bietet uns plötzlich eine weitere Deutungsoption: Möglicherweise ist der Tod doch nicht das größte Übel.

Die Aufnahme in den Himmel zeigt den Triumph des Lebens über den Tod. Dieser Übergang steht mit der Auferstehung Jesu im Zentrum von Ostern und ist Kern des christlichen Glaubens. "Wenn in der Kirche der Glaube an die Auferstehung abnimmt, kommt alles zum Stillstand, fällt alles auseinander", hat einmal Papst Benedikt XVI. gewarnt.

Bosch hat nicht die Auferstehung Jesu gemalt, sondern die Aufnahme der vielen Seligen. Wir sind also gemeint. Bosch hat die österliche Glaubenserfahrung quasi demokratisiert. Es ist nicht mehr nur das exklusive Erlebnis von Gottes Sohn. Wir alle sind angesprochen, sind einbezogen und Teil der Heilsgeschichte geworden. Das über 500 Jahre alte Bild wird zum Glaubenszeugnis und schenkt uns die Begegnung mit der Gegenwart.

Das Gemälde ist längst nicht so detailfreudig wie andere Bilder von ihm. Dennoch ist auch hier viel los. Ein wenig salopp gesprochen ähnelt die Begleitung der Seelen himmelwärts beinahe dem Betrieb auf den Startbahnen internationaler Flughäfen. Von Engeln begleitet werden die Seelen der Reihe nach zu einem Tunnel und ins ewige Licht geführt. Wie finster es unten überall noch ist - sogar die Gewänder der Engel sind davon beeinflusst -; und wie strahlend dagegen der kreisrunde Weg ins gleißende Licht erscheint. Gegen Ende dieses seligen Aufstiegs gibt es dann nur noch einen Engelsbegleiter; und das letzte Wegstück gehen wir allein. Am Ende wartet auf uns möglicherweise wieder ein Engel. Doch im grellen Gegenlicht ist diese nass in nass gemalte Gestalt - rechts neben der ankommenden Seele - so gut wie nicht zu erkennen. Mit ein paar Schemen müssen wir uns begnügen. Was uns dort also erwarten wird, hat Bosch bis zur Unkenntlichkeit ausgeleuchtet. Diese Figur ist so gut wie ungemalt.

Das Licht ist kaum mehr als ein Fleck auf diesem insgesamt dunklen Bild. Zur Grundierung hatte Bosch erst einmal eine schwarze Farbschicht auf die Holztafeln aufgetragen. Damit war nicht nur der Grundton angeschlagen, sondern auch die besondere Dramaturgie. Denn wie in einem Sog richten sich unsere Augen mit den Blicken der Seelen hinauf zum Licht. Genau dort wird die Grenze zum Göttlichen gezogen.

Die Beobachtung des Himmels ist der Anfang aller Religion. Der Himmel ist selbst dann noch ein Sehnsuchtsort der Menschheit geblieben, als die Naturwissenschaften sich eifrig daran machten, ihn zu entzaubern und uns das Staunen auszutreiben.

Doch noch immer streben Glaube und Hoffnung himmelwärts. Dieses Emporheben haben die Menschen in Stein gehauen. Die gotischen Kathedralen mit ihrer filigranen, vertikalen Ausrichtung, sind im Grunde ein einziges Gotteslob. Dass Gott im Himmel oder Gott vielleicht auch der Himmel ist, durften die Menschen früh einer zuverlässigen Quelle entnehmen. Denn im "Vaterunser", dem einzigen Gebet, das Jesus die Jünger lehrte, heißt es gleich zu Beginn: "Vaterunser im Himmel". Hieronymus Bosch reicht dazu das Licht. Aber das ist bei ihm alles. Die Aufnahme in den Himmel erscheint wie eine Explosion des Lichts. "Gott ist Licht", schreibt Benedikt.

In der allegorischen Welt des niederländischen Malers ist es dieses Bild, das einen Ausweg aus Sünde, Strafe und Höllenqual zeigt. Eine Handreichung fürs Leben; ein Trost vielleicht auch für den Maler selbst, sechs Jahre vor seinem eigenen Tod.

Auch darum ist die Auferstehung bei Bosch nicht als Allegorie zu lesen und zu begreifen. In seinem Bild steht sie uns wie eine historische Realität vor Augen. Das österliche Geschehen ist kein Mythos und keine Vision, keine Utopie und auch kein Märchen. Sie scheint schlichtweg ein Ereignis zu sein, ein Moment der Geschichte, der etwas ganz und gar Neues entstehen lässt.

Was nach dem Tod kommt und was uns nach dem Tod erwartet, weiß niemand. Diese Unkenntnis und Ungewissheit des Menschen aber kann nicht als simpler Grund dazu dienen, den möglichen Triumph des Lebens über den Tod abzustreiten. Auch auf dem Bild von Hieronymus Bosch geht es nicht darum, Dinge zu erfahren, die wir nicht verstehen können. Das Bild ist eine stille und doch dramatische Verheißung, in eine neue Welt aufzubrechen und in ein neues Leben. Die vielen Seligen auf dem Bild sind der Beginn vieler neuer Geschichten und ihre Aufnahme in den Himmel viele kleine Osterfeste.

(los)
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