Ein Autor erzählt Von der Idee zum Roman

Düsseldorf (RP). Ein Buch schreiben zu wollen und ein Buch zu schreiben sind zwei verschiedene Dinge. Unser Redakteur Jörg Isringhaus hat das erfahren - sein Roman "Unter Mördern" ist gerade erschienen. Er berichtet von dem langen Weg bis zur Veröffentlichung.

April 2007 Einmal ein Buch schreiben... Das sagt sich schnell daher und ist meistens genauso schnell wieder vergessen. Mich hat es nie wirklich losgelassen. Ideen gab es etliche, Versuche auch. Nichts hatte Bestand. Irgendetwas fehlte immer - lebendige Charaktere, ein starker Plot, schreiberische Disziplin. Ein Buch schreiben zu wollen und ein Buch zu schreiben, das sind leider zwei grundverschiedene Dinge.

Ein Stoff aber setzte sich hartnäckig in meinem Kopf fest. Ein Stoff, entdeckt vor mehr als 20 Jahren im Studium: Birger Dahlerus, ein schwedischer Industrieller, versucht im August 1939 verzweifelt den Zweiten Weltkrieg zu verhindern. Dank seiner guten Kontakte zu Hermann Göring und britischen Unternehmern vermittelt er zwischen der deutschen und der englischen Regierung. Sein missionarischer Eifer auf der einen, sein bitteres Scheitern auf der anderen Seite machen ihn zu einer tragischen Figur. Was hat ihn angetrieben? Wie nah war er an seinem Ziel? War er einfach naiv? Oder durchtrieben? Wie muss man sich diese letzten Tage vor Kriegsbeginn vorstellen?

Fragen, die mich umtrieben. Und immer wieder kristallisierte sich eine Antwort heraus: Dahlerus hat das Zeug zum Romanhelden. Ich fasste einen Entschluss. Sollte ich ein Buch schreiben, dann über ihn. Sollte - das war der Trick. Ich würde es locker, ergebnisoffen angehen lassen. Mich einlesen, rumspinnen, mal schauen. Man muss auch dem Buch eine Chance geben - vielleicht kommt es dann von ganz alleine. August 2007 Vier Monate dauert das Einlesen, und neben einem Ausweis für die Uni-Bibliothek hat es tatsächlich etwas gebracht: einen Ansatz. Eine zweite, fiktive Hauptfigur, einen Gegenentwurf zu Dahlerus - egoistisch, brutal, dunkel. Richard Krauss, ein Racheengel, der eine Spur des Todes durch Berlin zieht. Der zusätzliche Konflikt, der aus diesem Gegeneinander entsteht, kann den Leser durch den Roman treiben. Aber darf man das, (historische) Realität und Fiktion mischen? Tagelanges Grübeln und Diskutieren. Das Ergebnis: Überhöhung und Verfremdung können die Wirklichkeit im besten Fall deutlicher hervortreten lassen. Außerdem geht es um einen Roman. Also darf man? Meine Antwort heißt: Ja.

Das Konzept steht. Ich lege den Spannungsbogen, die wesentlichen Handlungsstränge fest, teilweise bis in prägnante Dialoge. Alle Figuren bekommen eine Vorgeschichte. Immer wieder überprüfe ich die Zeitabläufe. Funktioniert das Gerüst? Trägt es die Story? Irgendwann muss man aber vor allem eines: anfangen.

Dezember 2007 Nach vier Monaten sind die ersten 100 Seiten fertig. Mein Leben als Redakteur geht, mit Fahrtzeit, von 10 bis 20 Uhr, oder bei Spätdiensten, ab 13 Uhr. Für das Schreiben bleibt der Rest, hauptsächlich der frühe Morgen. Das Wochenende. Der Urlaub. Ohne Disziplin entsteht kein einziges Buch. Doch woher nimmt man den Glauben, dass das, was man da zusammenfantasiert, eine funktionierende Geschichte sein könnte? Als Autor schreibt man ins Nichts. Ich lasse deshalb meine Frau und einen Freund mitlesen. Sie sind meine letzte Instanz - und Gold wert.

März 2008 Mehr als die Hälfte ist geschafft. Drei Wochen Urlaub alleine bringen 50 Seiten. Sonst liegt das Tagespensum zwischen einer halben bis zwei Seiten. Überarbeiten des Geschriebenen nicht gerechnet. Das ist der eigentliche Kreativ-Prozess: die Seiten wieder und wieder lesen, umschreiben, neuschreiben. Die Figuren entwickeln derweil ein frappierendes Eigenleben. Manchmal diktieren sie den Gang der Dinge, erzwingen Dialoge. Zwischendurch Krisen: Ist das nicht alles ein furchtbarer Quatsch? Gibt es einen Menschen, der das drucken will? Oder gar lesen? Meine Frau behauptet ja. Also doch nicht in die Altpapiertonne. Weitermachen.

Juli 2008 Der letzte Satz, fertig. Die Euphorie bleibt aus. Stattdessen: schlechte Laune. Wir wollen essen gehen, stehen aber stundenlang im Stau. Ein furchtbarer Tag. Meine Figuren haben mich verlassen. Ich habe ein Jahr mit ihnen gelitten und ihnen viel zugemutet, aber auch viel zurückbekommen. Sie haben mich beschützt: Ich war während des Schreibens nicht einmal krank - trotz Doppelbelastung. Doch jetzt, wo das Buch fertig ist, werde ich nervös. Einen Verlag zu finden scheint mir angesichts tausender Neuveröffentlichungen pro Jahr unmöglich. Oktober 2008 Ohne Agent geht nichts in der Buchbranche. Er vermarktet das Werk. Bei einem Agenten muss man sich bewerben wie bei einem Verlag. Ich habe Glück. Der Agent nimmt das Manuskript an. Ich treffe ihn am Rande der Buchmesse. Das schürt Hoffnung - schließlich will auch der Agent am Buch verdienen. Er stellt meinen Roman den Verlagen vor. Nach der Buchmesse gibt es mehr Interessenten, als ich dachte. Gut, dass ich zu dem Zeitpunkt nicht weiß, wie lange ich noch warten muss. Mai 2009 Das Handy klingelt, mein Agent ist dran. Wir haben jemanden, sagt er. Fast habe ich nicht mehr daran geglaubt. Acht Monate, in denen die Liste der interessierten Verlage bedenklich schrumpfte. Ich mache die Becker-Faust. Was für ein Tag.

Oktober 2009 Der Verlag - Rütten & Loening (gehört zu Aufbau) in Berlin - präsentiert das Cover. Jetzt scheint das Buch greifbar und ist doch noch so weit weg. Frühjahrs-Programm. Aus Verlagssicht ist das übermorgen. Für mich eine Ewigkeit. In der die Korrekturen anstehen - zum Glück gibt es vom Lektor nur minimale Eingriffe. Trotzdem habe ich das Buch am Ende zigfach gelesen.

Januar 2010 Leseexemplare gehen raus zu den Buchhändlern und an die Presse. Langsam wird mir mulmig - wie wird das Urteil ausfallen? Es ist wie beim Arzt, kurz vor der Diagnose. Und man gibt viel von sich preis. Das war mir nicht so klar - zu spät.

Februar 2010 Ich halte mein erstes Buch in der Hand. Ein unwirklicher Moment. Aber großartig.

(RP)
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