Die 100 schönsten Romane Platz 7: "Die Korrekturen" von Jonathan Franzen

Der US-amerikanische Autor hat mit seinem Familienepos ein Stück Weltliteratur geschrieben.

 Jonathan Franzen.

Jonathan Franzen.

Foto: dpa, Arno Burgi

Am Anfang der Erfolgsgeschichte dieses Romans steht ein kleines deutsches Verlegermärchen. Und das beginnt mit Alexander Fest, der damals Chef bei Rowohlt war und durch einen Artikel im Time Magazine auf Jonathan Franzen stieß. Er las dessen ersten Roman - "Die 27. Stadt" - und fand ihn toll. Doch die Amerikaner rieten ihm, aufs nächste Werk zu warten. Und bald darauf wurde ihm der erste Teil des Manuskripts zugeschickt sowie ein fünfseitiges Exposé. Alles war grandios, und doch beunruhigte den Verleger, dass die ersten 100 Romanseiten keine sechs Zeilen des Exposés beschrieben. Alexander Fest rechnete durch und kam auf über 3000 Seiten, die Franzens neuer Roman umfassen musste.

So viele sind es am Ende doch nicht geworden, aber immerhin noch knapp 800 Seiten - ein Prosa-Ungetüm also, außerdem eine Familiengeschichte im Mittleren Westen der USA mit den üblichen Sorgen. Das ist im Grunde schlecht verkäufliche Ware. Doch weil bei Jonathan Franzen fast alles anders ist, galten auch die Marktgesetze für den Roman "Die Korrekturen" nicht mehr.

Dieses Buch ist ein Literatur-Ereignis und ist es seit seiner Veröffentlichung vor 13 Jahren bis heute geblieben. Dabei lässt sich erzählerisch wenig Neues entdecken. Der Zauber des Romans speist sich aus der Kraft des Erzählens. Ein Familienepos, das viele in der modernen Literatur für mausetot hielten. Dieser Roman des heute 56-Jährigen aber hat alle Skeptiker widerlegt und alle Leser begeistert. Wer wurde bei der Lektüre einer Neuerscheinung schon einmal vom Gefühl heimgesucht, plötzlich Weltliteratur in seinen Händen zu halten? Diesmal gab es nur wenig Zweifel: "Die Korrekturen" nahmen einen solch ruhmreichen Platz praktisch mit ihrer Veröffentlichung ein.

Große Geschichten und ihre Helden entstammen nicht selten dem vermeintlich schnöden Alltag. So auch diesmal: Enid, die Mutter, will eigentlich nur eins, die ganze Familie zum Weihnachtsfest ins Elternhaus nach St. Jude einladen. Das ist der Brennpunkt, der alles auflodern lässt - all die trügerischen Vorstellungen von netten Familien in ihren abbezahlten Häusern, all die Disziplin, die nötig ist, die kleinen Dramen und großen Tragödien in Schach zu halten.

Da ist Familienvater Alfred Lambert, ein furchterregender Pedant, vom körperlichen und geistigen Verfall gezeichnet; und Enid, deren ganze Leidenschaft der heimischen Rasenpflege gilt; Sprössling Chip lehrt feministische Theologie und dreht krumme Dinger in Litauen; Gary, sein Bruder, ist erfolgreicher Banker und depressiv; schließlich Denise, die ihrer Karriere als In-Köchin durch sexuelle Kapriolen ein vorläufiges Ende setzt. Das Leben ist auch im Kleinen korrekturbedürftig, aber nicht immer ist die Lösung so simpel wie bei Alfred, der seine Krankheit mit dem Medikament "Korrektal" zu lindern hofft.

Im Privaten lauert Monströses, verrät das Buch. Doch Franzen macht daraus kein apokalyptisches Kunstwerk. Mit viel Ironie, Komik und heiterer Zuneigung begegnet er seinen Figuren. Niemand wird denunziert. "Die Korrekturen" ist ein Familienepos, das in seiner Wucht und seiner Tragweite an die Sippenromane Thomas Manns erinnert. Und schon der Beginn des Buches nimmt den Leser fest an die Hand: "Der Irrsinn einer herbstlichen Prärie-Kaltfront, näher kommend. Es war deutlich zu spüren: Etwas Furchtbares würde geschehen."

Jonathan Franzen: "Die Korrekturen". Übersetzt von Bettina Abarbanell. Rowohlt, 784 Seiten, 12,99 Euro.

(RP)
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