Friedenspreis des Deutschen Buchhandels Atwood würde Trump gerne den Twitter-Account wegnehmen

Frankfurt · So komisch es auch klingt: Aber vielleicht gehört ausgerechnet Margaret Atwood, die diesjährige Gewinnerin des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, zu jenen Autoren, die von Donald Trump profitieren. Zumindest was den Verkauf ihrer Literatur angeht.

 Margaret Atwood spricht während einer Pressekonferenz auf der Buchmesse in Frankfurt am Main.

Margaret Atwood spricht während einer Pressekonferenz auf der Buchmesse in Frankfurt am Main.

Foto: dpa, ade kde

Ihr Buch "Der Report der Magd" - schon Mitte der 1980er Jahre erschienen - lesen viele heute als einen Kommentar zur Zeit: Mit der Geschichte der Vereinigten Staaten, die nach einem Staatsstreich durch eine christlich-fundamentalistische Gruppierung plötzlich zur Diktatur werden. Und das greift in viele Lebensbereiche ein.

Vor allem Frauen sind davon betroffen. Eigenes Eigentum ist ihnen verboten, und eine ihre wenigen Aufgaben ist es, möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen. Unglaublich damals, als das Buch erschien. Und unglaublich ist es ja noch heute. Doch die gegenwärtige Krisenstimmung in den USA schafft neue Anreize, diese Geschichte wieder zu lesen. Auch vor diesem Hintergrund darf man es als eine weise Entscheidung nennen, dass die 77-Jährige Kanadierin jetzt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommt - feierlich überreicht am Sonntag in der ehrwürdigen Frankfurter Paulskirche.

Schon am Samstag stellte sie sich in der Buchmessen-Stadt vor, so unerschrocken und unbeeindruckt von den gegenwärtigen Entwicklungen, wie man sich das von einer streitbaren Frau wünscht. Was sie Trump - würde sie ihm einmal gegenüberstehen - sagen würde? "Nichts", sagt Atwood. "Er würde mir ja gar nicht zuhören.Darum würde ich mich an seinen Assistenten halten und ihn bitten, dem Präsidenten den Twitter-Account einfach wegzunehmen." Dann lacht sie selbst über ihren Einfall und fügt etwas leiser an: "Aber auch das würde wahrscheinlich nicht gelingen."

Atwood ist eine Geschichtenerfinderin, eine Erzählerin. Sie kommentiert und analysiert die Gegenwart allenfalls in den Essays. Aber in ihren Romanen werden Welten lebendig, die uns die Wirklichkeit aus einem anderen Blickwinkeln zu erklären scheinen und von längerer Wirkung sind. Das ist Atwoods große Fähigkeit; und daraus spricht die Kraft ihrer Literatur.

Die Welt, wie wir sie heute kennen und wie sie uns zunehmend beunruhigt, hat nach Ihren Worten früh ihren Anfang genommen: Mitte der 1980er herrschte noch Kalter Krieg, eine statische Situation, in der die USA dastanden wie "ein Leuchtturm der Demokratie". Dann fiel die Berliner Mauer, und Politik wurde, so Atwood, wie ein Kinderspiel: "Wenn man einen Bauklotz wegnimmt, geraten viele andere auch in Bewegung. Und dann kommen immer auch die, die chaotische Zustände als Chance nutzen."

Atwood wuchs als Waldmädchen auf

Atwood ist Tochter eines Insektenforschers. Mit ihm hat sie als Kind die Wildnis Nordkanadas durchstreift, lebte mal in einfachen Katen, öfters in Zelten, fast immer ohne Strom, Telefon, Nachbarn. Als Waldmädchen wuchs sie auf. Unerschrocken, selbstständig und selbstbewusst. Und alles hat sie bewahrt. Margaret Atwood war schon eine Feministin, als dieses Wort noch keinen Eingang in den Sprachgebrauch gefunden hat. Sie propagiert das, was sie selbst ist: eine starke Frau zu sein. Und sie kritisiert das, was sie ihr Leben lang erfahren musste: wie zerstörerisch eine Welt nur der Männer sein kann. Margaret Atwood hat daraus kein Programm gemacht, wohl aber Literatur. Der jetzt in den USA wieder stark nachgefragte Roman "Der Report der Magd" wurde von Volker Schlöndorff verfilmt.

Margaret Atwood - die in diesem Jahr auch zum engeren Favoritenkreis für den Literaturnobelpreis zählte - hat mit ihren Büchern viele Menschen zum Handeln bewegt und zum Nachdenken angeregt. Ihr Einfluss auf Trump hingegen dürfte marginal bleiben. Wenigstens kann sie mit Twitter auf den Präsidenten reagieren. Sie gehört, so erzählt sie, mit zu den ersten Nutzern dieses Dienstes. Mit ungeahnten Nebenfolgen: "Fast jeder dritte Kommentar, den ich auf Twitter bekomme, stammt inzwischen von einem Roboter."

Jüngst in deutscher Übersetzung erschienen: Margaret Atwood: "Aus Neugier und Leidenschaft". Gesammelte Essays. Berlin-Verlag, 480 Seite, 28 Euro

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