"Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" Grandios: Das neue Buch von Haruki Murakami

Düsseldorf · Haruki Murakami ist einer der wenigen Autoren, die man nicht als Schriftsteller wahrnimmt, sondern als Freunde, und jedes neue Buch ist ein Geschenk, eine Herzensangelegenheit.

Haruki Murakami: "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki"
Foto: dpa, epa efe Dalmau

Murakami erzählt von Tsukuru Tazaki, einem 36 Jahre alten Mann, der wie alle Helden Murakamis eine Ausnahme ist. Ihm fehlt etwas, er hat keine Eigenschaften, stattdessen spürt er diese undefinierbare Traurigkeit. Tazaki baut Bahnhöfe, und er verliebt sich in Sara, eine Frau, wie sie in fast allen Romanen Murakamis auftritt: schön, liebevoll, sanft und patent. Sara spürt, dass etwas nicht stimmt mit dem Geliebten, sie spricht mit ihm darüber, und er verrät, dass seine Freunde ihn einst verlassen haben. Sie waren zu fünft, aber die vier anderen sagten sich plötzlich von ihm los, er konnte den Grund nie herausfinden, und der Verlust ist in ihm, seither hat sich die Schwerkraft verändert, fühlt sich die Luft zwischen den Härchen auf seinen Armen anders an. Es ist wunderbar, die beiden miteinander sprechen zu hören. Vom schwarzen Schlund der Verzweiflung spricht Tazaki, und Sara entgegnet, dass er den Ort der wahren Harmonie finden müsse. Also schickt sie ihn los, er möge herausfinden, was damals vorgefallen ist und zum Bruch führte, erst danach dürfe er zurückkehren.

Die Beschreibung der Handlung mag sich kitschig anhören, nach Hesse für iPad-Besitzer, aber das Buch ist nicht kitschig, und darin liegt Murakamis Kunst, das Wunderbare seiner Texte. Sie rühren an etwas im Leser, als wöge Murakami eine Substanz, für die es keine Maßeinheit gibt, sie sind mit dem Unbewussten verhakt, mit den Träumen und Wünschen. Bei Murakami gilt nie bloß der Text, der im Buch steht, seine Dichtung wirkt erst im Austausch mit dem Leser. Das, was man beim Lesen denkt, woran man sich erinnert, was einem während der Lektüre in den Sinn kommt, reichert die Geschichten an, vollendet sie, deshalb wirken sie auf viele, als habe Murakami eigens für sie geschrieben, vielleicht sogar über sie.

Murakami gilt seit Jahren als Favorit für den Nobelpreis, er hat von allen Kandidaten die meisten Leser in der Welt, und in Japan wurden von den "Pilgerjahren" in sieben Tagen eine Million Exemplare verkauft. Es ist kaum zu begreifen, warum diesem Mann diese Auszeichnung bisher verwehrt blieb. Seine Sprache ist klar und kristallen wie bei Kafka, aber ihre Wirkung geht ins Magische: "Während er mit geschlossenen Augen der Musik lauschte, spürte er eine Beklommenheit. Als hätte er unbemerkt eine feste kleine Wolke eingeatmet."

Herr Tazaki ist einer, der sucht, der unzufrieden ist und zugleich auf eine sehr zeitgemäße Weise tapfer. Er sitzt in designten Cafés und Apartments, versendet Emails und hat einen Facebook-Account, und obwohl das alles so nah ist an der großstädtischen Wirklichkeit, mutet die Pilgerreise, auf die Murakami seine Figur schickt, märchenhaft an. Sie endet anders als erwartet und doch in großem Wohlsein, mit seelischer Reinigung. Der Soundtrack dieses Buchs sind die romantischen "Années de pèlerinage" von Franz Liszt, die in der entscheidenden Aufnahme von Lazar Berman in Japan bereits ausverkauft sind und hier auf fast jeder Seite erklingen.

Die Herren, die über die Nobelpreise entscheiden, sollten dringend dieses Buch lesen. Sie finden es, wenn sie in der Bibliothek das Licht löschen. Murakamis Bücher sind die, die im Dunkeln leuchten.

(holst)
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