"Meinen Hass bekommt ihr nicht" Ein Pariser Witwer rührt Millionen

Paris · Mit einem Text auf Facebook hat der Journalist Antoine Leiris nach den Anschlägen in Paris seine Trauer in Worte gefasst. Es war eine Liebeserklärung an seine getötete Frau und eine Botschaft, sich nicht einschüchtern zu lassen.

 Der Journalist Antoine Leiris hat ein bewegendes Buch geschrieben.

Der Journalist Antoine Leiris hat ein bewegendes Buch geschrieben.

Foto: Sandrine Roudeix / Blanvalet

Antoine Leiris erinnert sich sogar noch an die Minute, in der sein Leben aus den Fugen geriet. Es ist der 13. November um 22.37 Uhr. Der Journalist hat seinen damals 17 Monate alten Sohn zu Bett gebracht und liest ein Buch, als er die erste SMS bekommt. "Hallo, alles gut?" steht darin. Doch nichts ist gut in jener "Nacht der Barbarei", wie Leiris sie nennt, in der Paris von mehreren Anschlägen erschüttert wird. Im Fernsehen sieht der 34-Jährige, dass auch der Konzertsaal Bataclan unter den Zielen ist. Jener Ort, wo seine Frau Hélène gerade ein Konzert der Eagles of Death Metal besucht. "Ich fühle mich von diesem Sofa erdrückt, das mich einschließt, gerade bricht die ganze Wohnung zusammen", schreibt Leiris in seinem Buch "Meinen Hass bekommt ihr nicht", das gestern in Deutschland erschienen ist. Schreiben ist nach dem Schock über den Verlust seiner Frau eine erste Reaktion - eine "natürliche Geste", wie er später in einem Interview sagt.

"Welche schöne Lektion des Lebens"

Schon drei Tage nach den Anschlägen veröffentlicht der blasse Mann mit den dunkelblonden Haaren auf Facebook einen Text, der die Netzgemeinde zutiefst berührt. Mehr als 200.000 Mal werden seine Zeilen geteilt, Tausende Kommentare kommen aus aller Welt. "Welche schöne Lektion des Lebens", schreibt eine Nutzerin. Leiris richtet sich direkt an die Attentäter: "Am Freitagabend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass bekommt ihr nicht", postet er jene Worte, die es später auf die Titelseiten der Zeitungen schaffen.

"Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitmenschen mit Misstrauen anschaue, dass ich meine Freiheit für die Sicherheit opfere. Ihr habt verloren." Es ist der Geist des inneren Widerstands, den auch Präsident François Hollande bei der Trauerfeier im Innenhof des Invalidendoms beschwört. "Wir werden weder der Angst noch dem Hass nachgeben", sagt der Staatschef in seiner Ansprache.

Woher er die innere Stärke nehme, wird Leiris immer wieder gefragt. "Ich bin nicht stark, aber ich will der Schwäche nicht nachgeben", sagt er im Fernsehsender France 2. Bei seinen zahlreichen Auftritten in den französischen Medien wirkt er zwar mitgenommen, aber gefasst. Tränen fließen bei dem Witwer nicht - zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

In 18 Sprachen übersetzt

Schon am Tag nach dem Drama muss er das Leben von seinem Sohn Melvil allein in die Hand nehmen. Die selbstgekochte Kindernahrung, die ihm die Mütter der Kinderkrippe in Tupperdosen mitgeben, wirft er weg, um seinem Sohn die übliche Fertigkost vorzusetzen. Denn für Melvil soll möglichst viel so bleiben, wie es vorher war, schreibt er in seinem Buch, das in Frankreich in den Bestsellerlisten ist und in 18 Sprachen übersetzt wurde.

Auf 144 Seiten schildert Leiris die Stunden, Tage und Wochen nach den Anschlägen. Die Momente der Ungewissheit, bis er am 14. November von Hélènes Tod erfährt, die letzte Begegnung in der Pariser Gerichtsmedizin: "Sie war so schön wie immer." Zusammen mit der 35-jährigen Maskenbildnerin sterben 89 weitere Menschen im Bataclan, 130 in Paris. Die Attentäter treffen vor allem die junge, weltoffene Bevölkerung, die im zehnten und elften Stadtbezirk ausgeht. "Es war diese Freude, die sie in den Trümmern ihrer Bomben begraben wollten", sagt Hollande in der Trauerrede.

"Es geht besser"

Doch genau das will Antoine Leiris nicht zulassen. Den "Mann ohne Hass" nennt ihn das Nachrichtenmagazin "L'Obs". Die Anschläge in Brüssel und die Festnahme von Salah Abdeslam, dem Logistiker der Pariser Attentate, reißen seine Wunde wieder auf. Für Abdeslam, der nun von Belgien nach Frankreich überstellt wurde, fordert er eine gerechte Strafe. "Ich hoffe, dass diese Person nach einem ausgewogenen Prozess für seine Tat angemessen bestraft wird."

Wie es ihm gehe, wird der allein erziehende Vater immer wieder gefragt, der schon vor dem Tod seiner Frau eine Auszeit beim Radiosender France Bleu genommen hatte und sich zurzeit ausschließlich um seinen Sohn kümmert. "Es geht besser", versichert er. "Vor einigen Tagen haben wir wieder wie früher gelacht. Wir machen Fortschritte." Auch darüber wird Leiris wohl wieder ein Buch schreiben. Eine weitere Botschaft der Humanität.

(RP)
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