Beflügeltes Genie

Nicht nur zur Weihnachtszeit: Große Stars und aufregende Talente zeigen, was sie können. Ein Höhepunkt: Der Pianist Alexandre Tharaud nimmt Musik von Sergej Rachmaninow auf.

"Christmas" - The Singers Unlimited, Gene Puerling

Da das Weihnachtsfest unbarmherzig näher rückt, droht auch die Frage: Wie können wir stilvoll die passende Musik dazu inszenieren? Neben dem "Weihnachts-Oratorium" von Bach und den unvermeidlichen Trompete-Orgel-Kombinationen ist keusche Chormusik unentbehrlich. Nun denn, hier kommt eine überaus gelungene Alternative: die legendäre "Christmas"-Platte des Vokalensembles The Singers Unlimited unter Leitung von Gene Puerling, das bekannteste Weihnachtslieder jazzig intoniert. Das ist aber deutlich mehr Kunst als nur ein paar swingende Rhythmen mit Pfefferminzakkorden obendrauf. Puerlings Team bietet gewiss eine Intonation, die auch die härteste himmlische Endabnahme überstünde; sie deklamiert zum Herzerweichen schön. Aber mehr noch schaffen die Sänger eine Atmosphäre sozusagen zwischen Glühwein und Christstollen: lauschig, duftig, das Geheimnis wahrend. Klassiker wie "Silent Night" oder "Have Yourself A Merry Little Christmas" sind dabei. Bei der CD handelt es sich um die glorreiche MPS-Produktion von 1972, die digital aufbereitet wurde. Darf in keinem Haushalt fehlen!

Schostakowitsch, Violinkonzerte; Frank Peter Zimmermann; NDR Sinfonie-Orchester, Alan Gilbert

Zu dem Dirigenten Alan Gilbert hat der großartige deutsche Geiger Frank Peter Zimmermann eine besonders herzliche Beziehung. Er feierte seinen 50. Geburtstag mit ihm in New York; gemeinsam mit den dortigen Philharmonikern gab es unter Gilbert das Violinkonzert von Jean Sibelius. Demnächst kommt dieses Team nach Düsseldorf. Am 25. März ist New-York-Day in der Tonhalle mit Zimmermann und Gilbert und den Philharmonikern. Die neueste CD des Geigers und des Dirigenten (beim schwedischen Label BIS) ist eine formidable Platte mit den Violinkonzerten von Dmitri Schostakowitsch; nun spielt aber das NDR Sinfonie-Orchester Hamburg. Die Aufnahme entstand in der dortigen Musikhalle, der guten alten Stube des Hamburger Musiklebens. Dessen Akustik lässt sich im Studio bestens frisieren, weswegen der Hörer hier eine überaus gut balancierte, perfekt klingende Aufnahme erlebt. Geiger Zimmermann ist in Bestform, das Orchester lässt die Vorfreude auf die Elbphilharmonie bereits erkennen - die Musiker sitzen sozusagen in den Startlöchern. Dirigent Gilbert achtet auf eine gesunde Mischung aus karikaturistischen und melodiösen Momenten.

Bruckner, 4. Symphonie; Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev

Wenn die Münchner Philharmoniker eine Symphonie von Anton Bruckner aufnehmen, kommt man nicht umhin, die grandiosen alten Platten unter Leitung von Sergiu Celibidache mitzudenken. Das waren Ergehungen in Langsamkeit, hymnische Versuche über das Phänomen Zeit und Raum. Jetzt versucht sich der neue Chef Valery Gergiev abermals an Bruckner. Es gibt da schöne Momente, aber an Celi darf man gar nicht denken. Gergiev Tempi sind nicht organisch, er hat zudem eine Neigung zu Muskulösem. Kurz gesagt: Gergiev wird zu schnell zu laut. Und ein Geheimnis besitzt diese Einspielung erst recht nicht. Andererseits machen die Münchner Philharmoniker in dieser Einspielung (auf ihrem eigenen CD-Label) einen sehr guten Eindruck: warmer Streicherklang, nobles Blech, innige Holzbläser. Für einen großartigen Bruckner reicht das nicht ganz, dazu bräuchte es auch vom Pult eine reife Idee vom Ganzen.

Amadeus-Quartett,

"Romanticism" (sechs CDs)

In ihrer CD-Serie der Aufnahmen, die das legendäre Amadeus-Quartett für den Rias Berlin gemacht hat, bringt das Label Audite nun ganz und gar unbekannte Einspielungen, die in den 50er und 60er Jahren entstanden. So hatten die Amadeus-Leute, die auch heute noch eine Referenzadresse für modernen Streichquartett-Klang sind, nirgendwo anders das Grieg-Quartett oder die Schumann-Quartette aufgenommen. Ohnedies handelt es sich hier um lauter Ersteinspielungen. Das merkt man daran, dass über dem Klang sozusagen ein gewisser Pioniergeist liegt. Man hört den Erlebnishunger der Künstler, die diesen Aufnahmen eine Visitenkarte beim Hörer hinterlassen. Alles ist ungeheuer klar, unsentimental und wahrhaftig gespielt, da wabert kein falsches Vibrato, obwohl das Expressive keinesfalls unterdrückt wird. Besondere Hingabe widmen die Musiker den Werken von Johannes Brahms, den sie auch in den beiden Quintetten vorstellen (mit dem Klarinettisten Heinrich Geuser und dem Pianisten Conrad Hansen). Entdecker kommen ebenfalls auf ihre Kosten, das gilt neben dem Werk von Grieg vor allem für das herrliche Streichquintett von Verdi. Wer befürchtet, die Aufnahmen klängen nach altem Wohnzimmer, wird angenehm überrascht.

Alexandre Tharaud

spielt Rachmaninow

Der Franzose Alexandre Tharaud zählt ganz gewiss zu den ernsthaftesten Pianisten von heute. Sein Repertoire ist abgezirkelt, genauestens überlegt, seine Platten springen überraschend quer durchs Repertoire. Jetzt legt er bei Erato Rachmaninows 2. Klavierkonzert c-Moll mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra und Alexander Vedernikov vor. Das Ergebnis ist großartig: Es klingt wie tiefes Russland mit latenter West-Sehnsucht, und es bekommt auch mehr als nur eine Prise französischen Esprit ab. Tharauds Kompetenz hat allmählich etwas Unheimliches.

Rantala, Erskine, Danielsson - "How long is now?"

Diese philosophische Frage nach der Dauer der Jetztzeit wird auf dieser wundervollen CD bei ACT (ein Stück trägt genau diesen Titel) natürlich nicht beantwortet. Aber sie gibt uns eine Ahnung, wie hier musiziert wird: einträchtig, kollegial, Impulsen aus dem Moment wach lauschend, gleichwohl sehr strukturiert. Die Welt des Modern Jazz wird hier nicht neu erfunden, sondern von großen Kennern gepflegt wie ein Beet im Garten. Die Früchte sind reif, schwer und nahrhaft. Feine Jazz-Platte!

(w.g.)
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