Serie: Neben Der Spur (2) Baukau und die 51 Schattierungen von Grau

Herne · Der nördlichste Stadtteil Hernes liegt an zwei Autobahnen. Das Fußballstadion und Schloss Strünkede sind betagte Attraktionen.

Wo es eng wird, wo das Blech wie in einer Herde über den Asphalt der A 42 getrieben wird und zum Stillstand kommt - dort hängt ein Autobahnschild, das man eher in östlichen Landen vermutet: Herne-Baukau. Das klingt nach Schkopau, nach vergilbtem volkseigenen Betrieb. Es klingt nach ganz weit weg.

In der Tat eilt an Baukau die Welt vorbei, sofern sie nicht im Stau steht. Jedenfalls kennt sie es einzig aus dem Verkehrsfunk. Baukau klingt wie das Nichts oder wie das Übel. Dabei steckt es selbst in der Klemme: Der Ortsteil ist vollständig von Autobahnen, Flüssen, Kanälen, Trassen umschlossen. Die jungen Baukauer sagen, das Beste an Herne-Baukau sei die U-Bahn nach Bochum. Baukau ist andererseits ein so liebenswerter Flecken, dass man gern von der Autobahn abfährt. Die Gesichtslosigkeit ist ergreifend.

Viele Autos wollen nur zum "Gallo", dem Italiener direkt an der Abfahrt, in dem sich Firmenvorstände mit alten Krawatten und grauen Schläfen zur Erörterung komplexer Situationen treffen. Eine Verträgeschmiede hinter den Schallschutzwänden der A 42. Bei Seewolf oder Fettuccine fällt oft das Wort "Bonität", und man ahnt, dass nicht der Fisch oder die Nudeln gemeint sind.

Außer den Einwohnern nutzt die Abfahrt nur, wer schleichwegheimlich nach Recklinghausen will oder in Baukau tatsächlich ein Anliegen hat. Ziele gibt es genau zwei: das Stadion von Westfalia Herne und Schloss Strünkede. Früher seien die Leute im Ruhrpott häufig nach Baukau gefahren, sagt Sascha Loch, der Präsident von Westfalia Herne, deren Stadion auf Baukauer Gebiet liegt. 1959 wurde die Elf Meister der Oberliga West, Herne war fußballerisch ehrfurchtgebietend, im Tor stand der große Hans Tilkowski, der jetzt 80 Jahre alt wurde.

Doch wuchsen die Pläne eher in den Boden als in den Himmel. Viele erinnern sich jenes beispiellosen Finanzskandals, bei dem die Gerichte den Mäzen Erhard Goldbach (Goldin-Tankstellen) im Jahr 1985 zu sagenhaften 18 Jahren Gefängnis verdonnerten. Die Westfalia, sein Hätschelkind, wurde mit dem Abstieg aus der 2. Bundesliga in die Oberliga bestraft. Das war der Anfang der Misere. Jetzt spielt die Mannschaft in der sechstklassigen Westfalenliga gegen Finnentrop und Mengede.

Seitdem pflegen Herner selige Erinnerungen vor allem an Leute, die Hernes Trikot trugen: Helmut Benthaus, Werner Lorant, Sönke Wortmann, den Filmregisseur. Auch für den Präsidenten ist das kein Job, der ihn in den Himmel hebt. Loch sagt's etwas anders: "Man muss bekloppt sein, um das hier zu machen."

Früher war das ruhmreiche Stadion am Westring eines der größten im Lande, das erste Derby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 wurde dort ausgetragen, und das lag nicht nur an Hernes Neutralität. 30 000 Menschen gingen in die "alte Lady" rein, sagt Loch. Damals gab es aber noch keine Baupolizei.

Allergrößte Hoffnung setzt Loch auf den Samstag, 25. Juli. Da spielt der türkische Erstligist Bursaspor in einem Testspiel gegen die andere Borussia, die aus Mönchengladbach. Anpfiff: 16 Uhr. Präsident Loch will Würstchen brutzeln und Bier ausschenken lassen, vielleicht überprüft auch einer die Statik des VIP-Raums, einer blau getünchten Wellblechbude, um die man sich sorgt, wenn der Wind daran rüttelt. Überhaupt macht das Stadion bis auf den gepflegten Rasen einen behelfsmäßigen Eindruck. Ehrenamtliche Helfer reparieren ohne Unterlass. Der Präsident residiert direkt am Eingang in einem weiteren Provisorium, hauptberuflich vertritt er eine Versicherung. Zum Klo muss er über den Hof ins Vereinsheim.

Wer sich aufrichten will von diesen Plagen, geht 200 Meter weiter und wird von fürstlicher Ruhe umfangen: Er steht im Park des Wasserschlosses Strünkede, das heute ein Museum beherbergt und in dem Kinder an Geburtstagen zwischen Ritterrüstungen spielen dürfen. Das alte Gemäuer bietet den Baukauern eine barocke Form von Trost. Drinnen sieht man derzeit eine triste Glas-Ausstellung mit ebenso trister Pädagogik, und dass die hübsche Orgeluhr keinen Ton von sich gibt, spricht Bände. Und draußen im Park? Bei Hitze neigt der Schlossgraben zur Müffeligkeit. Strünkede tarnt sich als Oase, die nicht nach außen strahlen will. Und den Rest Baukaus umschlingen die Autobahnen wie Pythons.

Baukau besitzt ein weiteres vergessenes Idyll, die Emscher. Die liegt jenseits des Rhein-Herne-Kanals, den der Stromerzeugerkonzern Steag mit seinen Türmen wie eine Kathedrale überwölbt. Am Kanal sieht man an diesen Tagen aber keinen Menschen, und die Emscher wird von den Baukauern kaum noch registriert. Irgendwie ist das alles Niemandsland.

In der Tat, wer so nah am Beton der A 42 und der A 43 wohnt wie die Baukauer und die Farbe Grau in den Straßenzügen nicht mehr los wird, den verwundert es nicht, dass definitiv zum 1. Dezember 2015 auch der Rewe-Markt an der ebenso grauen Kaiserstraße geschlossen wird. Auf den sind vor allem die älteren Baukauer angewiesen; für die 81-jährige Margret Günther, die in diesem Rewe seit Jahrzehnten einkauft, ist das "sehr, sehr traurig". Kühlere Beobachter Baukaus glauben unterdessen, dass auch die benachbarte Sparkasse bald die Rollläden herunterlassen muss, und zwar für immer.

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt Präsident Loch. Jetzt hofft er erst einmal, dass am 25. Juli die Bude voll wird. Irgendwie wünscht man ihm das. Doch sollten Rheinländer hinfahren wollen, müssen sie Zeit einplanen: In und um Baukau steht die Welt gern still. Gerade auf der Autobahn.

(w.g.)
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