Duisburg Ballettchef Martin Schläpfer blickt auf seine Schweizer Heimat

Duisburg · Es scheppert und tönt. Ein Grüppchen junger Leute schleppt Kuhglocken auf die Bühne, schwere Ungetüme darunter, die man keinem Tier an den Hals wünscht. Die jungen Leute wirken unbekümmert wie an einem Nachmittag nach getaner Arbeit, befreit, zum Tanzen aufgelegt. In das Geläut von der Alm mischen sich Kirchenglocken, Alltagsgeräusche vom Leben in den Bergen. Und wie man sie so ziehen sieht, denkt man, dass das nun eine hübsche Bergpartie werden könnte, ein Ausflug in die Schweizer Alpen, wie man sie sich drunten erträumt. Doch der Direktor des Ballett am Rhein will ja immer das Leben zeigen, keine Idyllen. Und so führt gleich die zweite Szene dieses Reigens in eine dunkle Stube. Da sitzt Marlucia do Amaral im schwarzen Kleid am Tisch, sehnt sich nach dem Mann, den sie nicht gefunden hat, und nun ist es zu spät nach den Maßstäben der Leut'. Doch die Träume gehören ihr. Und so löst sich Marcos Menha aus der Dunkelheit und die beiden tanzen mit berührender Innigkeit von der Sehnsucht und der Liebe und dem Glück des Aufgehobenseins zu zweit.

Mit den "Appenzellertänzen" nimmt das Ballett am Rhein eine Choreografie ins Programm, die Martin Schläpfer bereits 2000 für das Ballett in Mainz geschaffen hat. Die Einstudierung hat Remus Sucheana übernommen, der damals selbst eine Solopartie darin getanzt und inzwischen als Ballettdirektor die Leitung der Kompanie übernommen hat. Es ist anregend, der frühen Arbeit Schläpfers zu begegnen, der vertrauten Ausdrucksenergie seiner Sprache, der oft gewitzten Fortentwicklung des klassischen Bewegungsrepertoires. Seinem Hintersinn, wenn er zwei Paare neckisch und doch streng in der Form vom Werben erzählen lässt und die Frauen am Ende die Kuhglocken schwingen. Bisweilen ist Schläpfer ein ungewohnt expliziter Erzähler. Wenn er etwa Pedro Maricato als jungen Burschen mit einer Miniaturkuh tanzen lässt, die Claudine Schoch erst aus dem Felde schlagen muss, um Platz an seiner Seite zu finden. Jedenfalls nimmt der Abend "b.34", der jetzt im Theater Duisburg seine Premiere erlebte, einen ungemein bilderreichen Anfang.

Dagegen die virtuos-zerklüftete Körpersprache von Marco Goecke. Der hat die berühmte Fokine-Choreografie "Le Spectre de la Rose" aus dem Jahr 1911 neu erfunden, macht aus dem traumtänzerisch-schwebenden Liebesduett ein hochenergetisches Nebeneinander von vervielfachten Geistern und einer Frau. Höchstleistung für die bestens einstudierte Kompanie.

Mächtige Bilder dann wieder im Schlussstück "Der grüne Tisch" von Kurt Jooss, das erzählt, wie Interessenspolitik in den Krieg führt und die Menschen in Leid und Trauer stürzt und dabei die Wucht eines rituellen Totentanzes entfaltet. Wie schon in Düsseldorf zeigt die Kompanie ihre große darstellerische Qualität, Chodozie Nzerem verkörpert den Tod mit einer vitalen Unerbittlichkeit, dass es den Zuschauer schaudert. Selbst die Unterbrechung wegen eines Notfalls im Publikum konnte der eindringlichen Wirkung dieses Stückes nichts anhaben.

(dok)
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