Köln/Düsseldorf Achenbach malt hinter Gittern

Köln/Düsseldorf · Der in der JVA Essen einsitzende Kunstberater bringt bei Van Ham ein Bild mit Alpenpanorama in die Auktion ein. Es stammt aus der Reihe "Spirit of Freedom", in der Helge Achenbach Orte des früheren Familienurlaubs aufgreift.

Es ist echt, ohne Zweifel. Das Gemälde mit der Losnummer 221, das am 18. Juni bei der Auktion bei Van Ham als Letztes aufgerufen wird und auf der Rückseite der Leinwand mit H. Achenbach signiert ist. "Spirit of Freedom Nr. 10" lautet sein Titel, Entstehungszeit: 2016. Auf 3500 bis 5000 Euro wird das Extralos geschätzt. Sein Erlös werde gespendet, heißt es im Begleittext des Kataloges.

Stilistisch lässt sich das Acrylbild der Landschaftsmalerei zuordnen. Es ist jedoch zu laienhaft ausgeführt, als dass man es in einer Epoche verorten könnte. Trotzdem ist das Interesse groß. Das Auktionshaus Van Ham bestätigt, dass es schon erfolgversprechende Anfragen gebe. Der düstere großformatige Erstling (140 mal 140 Zentimeter) kommt zum Aufruf neben Werken von angesehenen und hochpreisigen Gegenwartskünstlern wie Thomas Struth, Markus Lüpertz, Jonathan Meese, Joseph Beuys.

Achenbachs Alpenpanorama hat seine eigene Kategorie gebildet, ist Knast-Kunst eines Autodidakten. Im Essener Gefängnis, in dem der zu sechs Jahren verurteilte einstmals erfolgreiche Kunstberater seit Juni 2014 in Untersuchungshaft einsitzt, hat er neben zahlreichen Aktivitäten auch einen Malkurs bei Anne Berlit belegt. Die Frau hat ihm offenbar einiges an Technik beibringen können. Neben dem Malen referiert der "Häftling Nummer eins", wie der Sozialpädagoge sich selbst bezeichnet, vor bis zu zehn Zuhörern über die Kunstgeschichte vom Mittelalter bis heute. Aus diesem Stoff soll ein Buch entstehen.

"Mich abzuschreiben, wäre falsch", hatte Achenbach zum Jahreswechsel zu Protokoll gegeben - und: "Ich komme zurück!" Jetzt ist er schneller wieder da, als manch einer dachte: noch dazu als selbsterklärter Künstler der Gegenwart. Vielleicht will der schlaue Netzwerker und charismatische Menschenfänger auch nur aus dem Off heraus dafür vorsorgen, dass sein monatliches Salär in Höhe von derzeit 166 Euro (86 werden direkt gepfändet) nach seiner Rückkehr in die Freiheit sogleich wieder in gewohnte Dimensionen springt.

Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi hat es ihm beispielhaft vorgemacht: Noch im Knast, aber schon als Freigänger, drehte der exzellente Kopist und Kirchenmaler in Serie fürs Fernsehen und porträtierte vor der Kamera prominente Menschen. Heute werden Beltracchis neu gemalte Bilder - Originale sind das und keine Fälschungen mehr - auf dem Kunstmarkt für Fantasiepreise bis zu 50.000 Euro gehandelt. Wie Beltracchi kennt Achenbach den Kunstmarkt - ob ihm Ähnliches vorschwebt? Und wird er weitere Bilder auf den Markt werfen?

2400 Werke, die der nun malende Kunstberater einst kaufte und besaß, wurden erfolgreich zwangsversteigert. Kein Stück blieb liegen. Die vierten Auktionstage aus der Pfändungsmasse werden die letzten sein: Im Juni kommen all solche Werke - 220 sind es an der Zahl - zum Aufruf, bei denen bisher die Eigentumsrechte nicht hundertprozentig geklärt werden konnten. Im neuen Auktionskatalog ist die Provenienz auffällig präzise aufgeführt: Die bald 50 Immendorff-Affen stammen fast alle aus einer Schweizer Privatsammlung. Eines der prächtigen Lüpertz-Gemälde aus dem Parsifal-Zyklus hat die Firmensammlung Achenbachs offenbar in der Kölner Galerie Werner erworben und in einer Ausstellung in der Kunstsammlung NRW gezeigt.

Regelrecht hineingeschmuggelt in diese delikate Restposten-Auktion hat sich nun dieses Amateur-Bild. Wer konnte die Einlieferung betreiben außer Achenbach selbst, der sich vor den Trümmern seines Lebens aufbäumt? Vielleicht ist das Malen - wie das Chorsingen und Wäschewaschen - eine Art Therapie für den 64-Jährigen. Das Bilderlos könnte auch ein erneuter Beweis der Selbstüberschätzung sein. Oder doch eine Geste der Demut angesichts der Idee, das Geld für die Flüchlingshilfe zu spenden?

Schaut man auf den gesamten Zyklus, in den dieses Alpenpanorama sich reiht, dann spürt man dem Seelenzustand eines Menschen nach, der wie Ikarus in die Tiefe gestürzt ist. Der sodann das Grauen der Gefangenschaft erfahren musste und sich Flucht und Freiheit rosa ausmalen wird. Die Kanareninsel Lanzarote hat er auf Papier gebannt wie die Alpen - für seine sieben versammelten Kinder, die ihn Weihnachten in der JVA besuchen durften. Die Bilder sind Erinnerungen an gemeinsame Ferien, und es bedurfte einer richterlichen Erlaubnis, damit die Familie die Geschenke mitnehmen durfte. Das zur Auktion eingelieferte Motiv kann man als Psychogramm des Malers lesen: In düsteren Farben ist das Bergmassiv gehalten, am Grund gibt es Zäune und Gitter, zum Gipfel hin wird es hell, weit oben leuchten himmlische Pastelle.

(RP)
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