Berlin

Berlin · Da beklage sich noch jemand über die Armut der deutschen Sprache! Das Gegenteil ist der Fall. Sie wuchert unaufhörlich und ist längst über die Köpfe ihrer Sprecher hinausgewachsen. Mit 5000 neuen Wörtern ist nun die inzwischen 27. Auflage des Rechtschreib-Dudens (26 Euro) erschienen - mit der wir bei rund 145.000 Wörtern auf exakt 1264 Seiten angekommen sind.

5000 neue Wörter im Duden: 27. Auflage erschienen
Foto: rp

Zur kurzweiligen Erinnerung: Der "Ur-Duden" von 1880 konnte mit 27.000 Wörtern der deutschen Sprache gerecht werden. Jetzt also mehr als das Fünffache! Das langt angesichts der Tatsache, dass der aktive Wortschatz eines sogenannten deutschen Durchschnittssprechers selten 16.000 Wörter überschreitet.

Das ist zunächst kaum mehr als schnöde Fakten-Huberei. Doch jedes Wort ist ein Inhalt und jedes neue Wort ein Hinweis auf unsere Zeit. Ein erster Blick auf die verbalen Neuankömmlinge: Dass "facebooken", "tindern", "durchzappen", "liken" und "Livestream" im gelben Schmöker stehen - geschenkt. Die unermessliche Weite des Social-Media-Universums dürfte auch linguistisch noch lange nicht an ihre Grenzen gekommen sein. Hier lauern darum auch nur wenige Überraschungen, abgesehen von der grundsätzlichen und nicht mehr ganz so neuen Zeitdiagnose, dass der Duden mit seinem neuen Wortschatz auch die Wandlungen unseres Kommunikationsverhaltens spiegelt.

Spannend und diskussionsbedürftig sind jene Neuen, die für uns selbstverständlich erschienen. Den "Ersatzfahrplan" etwa wähnten wir seit Menschengedenken schon zu kennen, wenigstens seit der Gründung der Deutschen Bahn. Die "Jobaussicht" ist ein offenkundiges Indiz für wirtschaftlich ruhige Zeiten; die "Barrierefreiheit" für größere Achtsamkeit und der "Kopftuchstreit" für eine gewisse Diskursfreude hierzulande; ebenso wie "Schmähgedicht" und "Lügenpresse". Auch die "Flüchtlingskrise" ist im Duden angekommen - und das in vielen Facetten: So hat es die "Willkommenskultur" ebenso geschafft wie die "Wutbürgerin". Zudem ist der Duden staatstragender denn je: Alle deutschen Bundeskanzler sind erstmals verzeichnet.

Die neuen Wörter sollte man durchaus ernstnehmen, da sie ja nicht in den Duden gelangten, nur weil irgendein Mitarbeiter sie nett, schön, lustig oder anregend fand. Jeder Aufnahme geht eine lange Prozedur voraus. Und am Anfang steht eine Inventur der deutschen Sprache. In einem riesigen Datenspeicher wird der deutsche Wortschatz aus zahllosen Texten und Medien gesammelt, digitalisiert und verarbeitet. Im Grunde würden 80 Millionen Menschen auf diese Weise mitreden, so Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Dudenredaktion. Erst am Ende entscheiden die Experten, welches Wort es ins Nachschlagewerk schafft, aber auch, welches rausfliegt.

So ist es zu erklären, das "Herne (Stadt in Nordrhein-Westfalen)" jetzt neu ins Buch gekommen ist. Die jüngsten Geschichten über den Herne-Mörder dürften die Ruhrgebietsstadt verbal weit nach vorne gebracht haben. Unter den Verlierern finden sich in der 27. Auflage etliche Wörter, denen man keine Träne nachweinen sollte - wie der "Schutzstaffel" und dem "Sturmbannführer", der "Richtbühne" (Schafott) und der "Füsillade" (Erschießung).

Bemerkenswert auch dies: Die deutsche Sprache ist feminin - vor 45 Prozent aller Substantive steht ein weiblicher Artikel, 35 Prozent sind männlich, der Rest ist neutrum. Und wer auf Partys klug daherkommen will, kann mit dem derzeit längsten Wort unserer Sprache beeindrucken. Das ist mit 44 Buchstaben die "Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung". Noch effektvoller dürfte diese Bemerkung sein: Wir sollten gegenchecken, ob wir auf der Abrissparty die Playlist mit Ramschniveau nicht vielleicht doch prokrastinieren sollten. Das ist vielleicht nicht allzu sinnreich, dafür brandaktuell - mit allein fünf neuen Duden-Wörtern.

(los)
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