Fernsehen Wilder Wechsel beim Tatort — eine Einordnung

Die beste Kommissarin geht nach nur fünf Folgen, zwei populäre Spaßmacher kommen: Der Abgang von Nina Kunzendorf und die Verpflichtung von Christian Ulmen und Nora Tschirner wirbeln das ohnehin rotierende Personalkarussel beim Tatort durcheinander.

Die neue Generation der "Tatort"-Kommissare
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Die beste Kommissarin geht nach nur fünf Folgen, zwei populäre Spaßmacher kommen: Der Abgang von Nina Kunzendorf und die Verpflichtung von Christian Ulmen und Nora Tschirner wirbeln das ohnehin rotierende Personalkarussel beim Tatort durcheinander.

Langsam wird es auch für Fans der prestigeträchtigen ARD-Krimi-Reihe schwierig, den Überblick zu behalten. Gefühlt täglich meldet das Erste die Verpflichtung eines neuen Ermittlers oder ganzen Ensembles. In den vergangenen Monaten stießen Til Schweiger (Hamburg), Wotan Wilke Möhring (Norddeutschland), Devid Striesow (Saarbrücken), Jörg Hartmann, Anna Schudt, Aylin Tezel, Stefan Konarske (Dortmund) sowie Alina Levshin, Friedrich Mücke und Benjamin Kramme (Erfurt) dazu.

Es scheint, als gebe es auch für Charakterdarsteller, die nichts mehr fürchten, als auf eine Rolle reduziert zu werden, nichts größeres als den "Tatort". Der kürzlich mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Wotan Wilke Möhrung sagte: "Mir ist die Verantwortung (…) bewusst geworden — die Verantwortung, die der Tatort hat, für seine große Gemeinde, für Deutschland. Der Tatort ist wie ein Stück heimatliches Lagerfeuer, um das sich jeden Sonntag die Menschen versammeln."

Drehen für Deutschland also. Auch die Großmimen Ulrich Tukur (Hessen), Axel Milberg (Kiel), Joachim Król (Frankfurt) und Axel Prahl und Jan Josef Liefers (Münster) gehören längst zum feinen Klub. Allerdings ermitteln etwa Tukur, Schweiger oder Möhring vorsichtshalber nur einmal im Jahr, um dem Ulrike-Folkerts-Syndrom vorzubeugen. Der langjährigen Ludwigshafener Tatort-Kommissarin kauft niemand mehr eine andere Rolle ab als die der dauerbetroffenen Kämpferin für Gerechtigkeit.

MDR freut sich über "Superstars"

Der jüngste Coup ist dem MDR gelungen. Er hat offenbar vor, die Abteilung Comedy nicht mehr allein den Münsteraner Scherzkeksen Boerne (Liefers) und Thiel (Prahl) zu überlassen und präsentierte Christian Ulmen und Nora Tschirner als neues Weimarer Kommissars-Duo. Die beiden kennen sich schon aus alten MTV-Zeiten, wo sie in Quatsch-Formaten wie "Ulmens Auftrag" ungefähr das vorwegnahmen, was heute Joko und Klaas erfolgreich macht.

Sie sind etablierte Kinostars, die auch schon in Filmen wie "FC Venus — Frauen am Ball" zusammenarbeiteten und nun einmal im Jahr an Weihnachten Witz in die ostdeutsche Beschaulichkeit bringen sollen. Der MDR gibt sich keine Mühe, seine Begeisterung zu verbergen: "Wir sind sehr stolz, dass wir mit Ulmen und Tschirner zwei Superstars für das Projekt gewinnen konnten."

Im Grunde ist nichts dagegen einzuwenden, die besten deutschen Schauspieler in der beliebtesten und — abgesehen von regelmäßigen Aussetzern — hochwertigsten Krimiserie spielen zu lassen. Ob der Dortmunder Kommissar Jörg Hartmann allerdings gleich drei Kollegen braucht, von denen zwei auch noch ein Pärchen spielen, das von der Krimihandlung ablenkt, ist zumindest diskussionswürdig.

Spannend wird es allemal, Til Schweiger zum ersten Mal in seiner Rolle als Nick Tschiller zu sehen. Schweiger, der von einer "Superquote" ausgeht, mag kein Regie- und Schauspielgott sein, aber er ist nun mal der erfolgreichste Filmemacher in Deutschland und muss sich deswegen und auf Grund seiner großen Klappe im Vorfeld auf ein kritisches Publikum gefasst machen. Devid Striesow und Wotan Wilke Möhring haben bislang noch nichts schlechtes abgeliefert, sie werden beim Tatort nicht damit anfangen. Und der MDR frohlockt vermutlich zurecht über Ulmen und Tschirner. Wenn sie nicht in die Albernheits-Falle tappen und auf ihren trockenden Humor setzen, könnten die Weihnachts-Krimis aus Weimar tatsächlich das vom Ersten angekündigte Highlight werden.

Unklare Gründe für Kündigung Kunzendorfs

Bei aller Euphorie über die Neuzugänge ist ein trauriger Abgang fast ein wenig untergegangen. Dabei ist die plötzliche Kündigung von Nina Kunzendorf alias Conny Mey aus Frankfurt nach nur fünf Folgen für Fans ein echter Schlag. Endlich eine Kommissarin, die weder mütterlich noch übertrieben gewissenhaft ist, endlich eine Frau, die selbstbewusst ist bis zur Schnippigkeit. Ihre Klamotten sind schrill, der Ausschnitt tief, die Jeans eng und die Nägel bunt. Auch das sperrig-freundschaftliche Zusammenspiel mit ihrem Kollegen Frank Steier, kongenial gespielt von Joachim Król, machte die neuen Frankfurter Folgen so sehenswert.

Nun heißt es plötzlich, Kunzendorf hadere mit dem Tussi-Image ihrer Rolle. Dabei war sie maßgeblich an der Entwicklung der Figur beteiligt, wie sie in einem Interview mit RP Plus erklärte: "Es gab die Idee, dass man kostümtechnisch in eine etwas offensivere Richtung geht. Und dann haben die Kostümbildnerin, der Regisseur Lars Kraume und ich gesagt, dass es ja durchaus auch mal etwas geschmackloser sein kann und man in Läden geht, in die man privat nicht unbedingt gehen würde."

Über die genauen Gründe hat sich die Schauspielerin noch nicht geäußert. In zwei Folgen wird sie noch zu sehen sein, dann ist Schluss. Król hat schon angekündigt, weitermachen zu wollen, der Hessische Rundfunk ist bereits auf der Suche nach einer Nachfolgerin. Es wird also wieder ein Platz in der Oberliga der deutschen Fernsehunterhaltung frei. Doch um Kunzendorf zu ersetzen, muss schon eine überragende Schauspielerin her.

(gev)
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