Smartphones Der Tyrann in der Tasche

Düsseldorf · Für immer mehr Menschen ist das Mobiltelefon ständiger Begleiter, und der schnelle Blick ins Netz wird zur dauernden Versuchung. Neue Apps schirmen Handybesitzer stundenweise ab - von ihrem eigenen Telefon.

 Mal eben schauen, was bei Facebook neu ist. Und schon ist das Gerät wichtiger als der Mensch.

Mal eben schauen, was bei Facebook neu ist. Und schon ist das Gerät wichtiger als der Mensch.

Foto: dpa

Es sind die unbedachten Momente: Zwei sitzen im Café, plaudern, da plingt das Handy. Eine Nachricht. Schnell mal schauen, wer was will. Schon ist ein Gerät wichtiger als ein Mensch, hat sich die Technik in eine Begegnung gedrängelt, hat das Virtuelle über das Analoge gesiegt.

Mobiltelefone können immer mehr: Sie erinnern an Termine, kennen den Weg, garantieren den Kontakt zu Freunden und beantworten jede Frage mit schnellem Zugriff auf das Internet. Darum sind sie zum ständigen Begleiter der Menschen geworden, zu ihrem Helfer und Berater - zuverlässiger als jeder Freund. Viele Menschen lassen darum ihr Handy nicht mehr aus den Augen.

Bei einer Umfrage in den USA gab jetzt ein Drittel der 2000 Befragten an, dass sie umkehren würden, wenn sie ihr Handy daheim vergäßen - und zwar egal, wie weit der Weg zurück ist. Das Verhältnis zwischen Mensch und Handy ist so symbiotisch geworden, dass Leute Panik befällt, wenn sie ihr Telefon nicht in der Tasche spüren.

Sie empfinden es nicht als störend, wenn sie Gespräche für den Blick auf das Display unterbrechen, wenn sie auf dem Spielplatz mit der einen Hand das Kind anschaukeln, mit der anderen über den Bildschirm wischen oder das Gerät in der Kneipe auf den Tisch legen, noch bevor sie die Jacke ausgezogen haben. Die Verbindung zu den sozialen Kontakten in der virtuellen Welt muss immer stehen. Abhängigkeit nennt man das in der Medizin.

"Smartphones sind ideale Suchtmittel, weil sie immer verfügbar sind", sagt Psychotherapeut Bert te Wildt, der an der Uniklinik Bochum Internetsüchtige behandelt. Vor allem die sozialen Netzwerke oder auch Partnerbörsen locken viele Menschen immer wieder ins Internet, um die Zahl ihrer Kontaktanfragen zu kontrollieren. "Menschen sehnen sich nach Wertschätzung und Aufmerksamkeit", sagt te Wildt, "in den sozialen Netzwerken wird ihnen suggeriert, ihre Beliebtheit sei messbar anhand der Zahl ihrer Freunde, Likes und Follower." Doch das Verlangen nach der Pseudonähe in der virtuellen Welt reduziert Kontakte in der Wirklichkeit - das kann sich zu einem Kreislauf der Sucht entwickeln: Gerade Menschen, die sich in ihrem Körper unwohl fühlen, die vielleicht nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen und sich selbst für Außenseiter halten, vermeiden wirkliche Kontakte, weil sie sich unsicher fühlen und der Verlauf realer Begegnungen ungewiss ist.

Im Internet können sie ihren Auftritt kontrollieren, ihre Identität manipulieren und sind Herr des Geschehens. Dass sie in der virtuellen Welt den wahren Charme unmittelbarer Begegnungen verpassen, ihrem Gegenüber zum Beispiel nicht in die Augen sehen oder es riechen können, machen sich viele gar nicht mehr klar.

Das Handy als Computer für die Hosentasche ermöglicht dem Menschen die totale Vernetzung, füttert ihn mit immer neuen Reizen. Darum erscheint es ihm unersetzlich. Zugleich aber fühlen sich viele bedrängt von all den Nachrichten, gestresst von der ständigen Erreichbarkeit. Sie pflegen eine Hassliebe zu ihrem Mobiltelefon, können davon nicht lassen, erleben aber die Verzettelung ihres Lebens, spüren, wie das Gerät ihnen die Konzentrationsfähigkeit und das Gefühl von Erfüllung raubt.

Michael Dettbarn und seine Kollegen hat das auf eine Geschäftsidee gebracht. Sie haben eine App entwickelt, die Menschen abschirmt - von ihrem eigenen Handy. Mit "Offtime" kann der Nutzer stundenweise verführerische Apps auf seinem Handy blockieren, um sich konzentrierte Arbeitsphasen zu ermöglichen. Er kann den Nachrichteneingang filtern, spezifische Abwesenheitsmeldungen verwalten und die eigene Handynutzung analysieren. "Handys haben inzwischen so viele Funktionen, dass man sie nicht einfach abschalten kann", sagt Michael Dettbarn, "aber man kann filtern, für wen man in welchen Phasen des Tages erreichbar sein will." Dettbarn (32) gestaltet bei "Offtime" die Benutzeroberflächen, bezeichnet sich als technikaffin. Doch als er vor vier Jahren Vater geworden war, bekam er plötzlich ein neues Gefühl für die Qualität von Zeit - und für die Notwendigkeit von Qualitätszeit.

Lange hat man die Digitalisierung für eine technische Revolution gehalten. In Wahrheit krempelt sie das soziale Miteinander um. Vor allem in der Familie. Oft ist das Handy dort Streitpunkt Nummer eins, denn längst betrifft Handysucht schon Kinder. Sie lernen den Umgang mit den mobilen Geräten intuitiv, wischen sich durch die Programme, sind flink im Internet - und erliegen denselben Versuchungen wie die Erwachsenen. Dem können Eltern nur begegnen, indem sie die reale Welt attraktiver machen, sagt Psychoanalytiker te Wildt: "Eltern müssen das sinnliche Erleben ihrer Kinder bewusst fördern, sollten mit ihnen in die Natur gehen, Sport treiben und die Lust auf analoge Medienerlebnisse wie Bücherlesen, Theater, Tanz, Musik wecken."

Genauso wichtig sei es, beim Medienkonsum Grenzen zu setzen. "Man kann mit dem Kind ein Computer-Zeitkontingent pro Woche vereinbaren, das Kind kann dann selbst entscheiden, ob es jeden Tag eine Einheit einlöst oder am Wochenende lieber mal am Stück spielt", sagt te Wildt.

Den Umgang mit digitalen Medien einzuüben, ist inzwischen so wichtig geworden wie Schreiben oder Rechnen. Darum reagiert te Wildt auch unwirsch, wenn Eltern vorschieben, dass sie sich am PC nicht genug auskennen. "Das kann man sich heute nicht mehr leisten, wenn man Kinder in die Welt setzt", sagt er. Schon die Rede von den "Digital Natives" sei verfehlt, kein Kind werde "ins Netz geboren", es müsse zunächst den Umgang mit der realen und dann den mit der virtuellen Welt lernen.

Dabei scheint eine einfache Übung wichtiger zu werden: ausschalten.

(RP)
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