Neue Apps Entspannen mit dem Smartphone

Düsseldorf · Die App "Forest" lädt man sich auf das Smartphone, damit man sich nicht mehr so viel mit dem Smartphone beschäftigt. Wer sie aktiviert, blockiert damit alle anderen Funktionen des Geräts, und belohnt wird man mit einer virtuellen Pflanze, die umso höher wächst, je länger man das Handy links liegen lässt.

Entspannen mit dem Smartphone
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Besonders disziplinierte Menschen dürfen sich schließlich an einem digitalen Baum erfreuen. Wenn man indes vor einer in der App eingestellten Zeit den Home-Button drückt, wird man getadelt: "Konzentrier dich!" oder "Sieh mich nicht an!". Im schlimmsten Fall stirbt der Baum, und man sieht nurmehr einen mitleiderregenden braunen Stumpf.

Mittel zur Entspannung

Die App "Forest" gehört zu einem Phänomen, das paradox anmutet: Smartphones werden neuerdings von vielen als Mittel zur Entspannung benutzt, als Möglichkeit, eine Auszeit von der beschleunigten Welt zu nehmen. Ausgerechnet das Gerät, das die Welt so schnell gemacht hat, soll also helfen, sich wieder zu besinnen. Im App-Store von Apple sind derzeit solche Apps besonders populär, die ihre Nutzer beim Meditieren unterstützen und beim Zur-Ruhe-Kommen. Außerdem Apps, die ein Naturerlebnis simulieren.

Apple veröffentlicht keine Zahlen, aber Hitlisten der bestverkauften und am häufigsten heruntergeladenen Apps. "Forest" ist da geführt und auch "Tayasui Color", ein "Zen-Malbuch für Erwachsene". Es gibt darin zwölf Vorlagen mit Natur-Motiven. Man kann sie mit digitalen Stiften und Pinseln ausmalen, und der Clou besteht darin, dass jeder Pinselstrich ein Geräusch macht, das fast so klingt, als male man in echt auf Papier. "Ein erstaunlich beruhigendes Erlebnis", verspricht der Programmierer.

Handgemalte Naturszenen

Erfolgreich ist auch "Wildfulness", eine App, die mehrere handgemalte Naturszenen anbietet. Man kann sich den jeweils passenden Sound auswählen, und so sieht man Rehe an einem Frühlingsmorgen im Wald und hört Blätterrauschen und Vogelgezwitscher. Die beliebte App "Tide" funktioniert ähnlich, hier gibt es Regenprasseln und Wellenschwappen frei Haus. Die Werbung frohlockt und scheint zu vergessen, dass man ja gar nicht wirklich rausgeht, sondern nur aufs Handy guckt: "Wenn Sie Zeit in der Natur verbringen, hilft es Ihnen, Stress abzubauen, Ihre Energie zu erneuern und Ihre Stimmung zu verbessern."

Was sagt dieser Trend über unsere Zeit? Der Soziologe Rainer Paris, der sich auskennt mit den Absurditäten des Alltags, weil er mal einen viel diskutierten Aufsatz über die "Bescheuertheit" geschrieben hat, findet: "Diese Erscheinung drückt die Sehnsucht nach einer möglichst vollständigen Kontrolle des eigenen Lebens aus." Aber wie es mit Utopien so geht: Sie bleiben Hirngespinste.

Wir verlieren Fähigkeiten

"Smartphones können so viel und nehmen uns so viel ab. Die Folge ist, dass wir bestimmte Dinge und Fähigkeiten verlernen, die zuvor selbstverständlich waren", sagt Paris. Die technischen Möglichkeiten verändern die Bedürfnisse der Menschen, und was sie dann wiederum benötigen, sind Abstand und Ruhe. Das Absurde sei aber, dass die Menschen Abstand und Ruhe nicht etwa bei einem Spaziergang im Wald suchten, sondern das Anti-Handy-Programm auf dem Handy gestalteten. "Das Paradoxe ist, dass man im Rahmen jener technischen Möglichkeiten bleibt, die man als Einschränkung empfindet."

Fast jede der Apps sammelt die Daten ihrer Nutzer, speichert also, wie lange man entspannt hat, und bietet an, die Ergebnisse mit den Daten von Freunden im Netz abzugleichen: Ausruhen wird zum Wettbewerb, entspannt fühlen kann sich offenbar nur, wer den Nachweis darüber führt, dass er entspannt hat.

Die beiden Grundprinzipien moderner Freizeitgestaltung, die das Smartphone noch einmal zuspitzt, seien Bequemlichkeit und Ablenkung, sagt Paris. Dabei vermittle der Besitz des Geräts den Eindruck, man erreiche alles Gewünschte sofort und ohne Anstrengung. Das Problem: "Gerade Entspannung und Gelassenheit kann man letztlich nicht wollen, man kann allenfalls warten und hoffen, dass sie sich einstellen."

Den Flugmodus gibt es auch noch

Paris verweist auf den Philosophen Odo Marquard, der die heutige Gesellschaft in einem "Zeitalter der Weltfremdheit" angesiedelt gesehen hat. Marquards These: Wir erleben die Gegenwart stets auf dem Hintergrund von Erfahrung und im Horizont von Erwartung. Da Erfahrungen aber vielfach nur noch aus "zweiter Hand" oder durchs Hörensagen gemacht würden, so Paris, schössen die Ansprüche und Erwartungen der Zeitgenossen unverhältnismäßig ins Kraut. Das Ergebnis sei nicht bloß Enttäuschung, sondern Panik.

Gegen diese Art zeitgenössischer Panik indes gibt es zum Glück auch eine Funktion im Smartphone. Den Flugmodus.

(hols)
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