Netzaktivist gegen Nazis "Ich ziehe denen den Stecker"

Düsseldorf · "Yosof" nennt sich ein Aktivist, der bei Facebook gegen fremdenfeindliche Hetzer vorgeht. Im Interview beschreibt er, was ihn antreibt - und wozu er einen pöbelnden 13-Jährigen verdonnerte.

Jagd auf Fremdenfeinde im Netz: RP-Online-Autor Cenk Cigdem (r.) befragt "Yosof"

Jagd auf Fremdenfeinde im Netz: RP-Online-Autor Cenk Cigdem (r.) befragt "Yosof"

Foto: Screenshot Video Cenk Cigdem

Wie sollte bürgerlicher Widerstand gegen rechte Propaganda aussehen?

Man darf nicht müde werden, deutlich zu machen, dass Fremdenhass innerhalb unserer Gesellschaft nicht toleriert werden darf. Nicht jeder, der gegen Rechts ist, ist automatisch links. Es müssen jedoch viel mehr Menschen handeln. Wir dürfen es nicht nur wenigen Antifaschisten überlassen, sich Rechtsextremen entgegenzustellen. Denn schlimmer als dem Rechts- oder Linksextremismus anzugehören ist die Ohnmacht der Mitte. Wer wegschaut, macht sich zum Mittäter. Was ich heute ignoriere, kann morgen auch mich treffen. Ganz klar also: Stimme erheben! Denn die Mehrheit teilt nicht die Meinung dieser sogenannten "besorgten Bürger".

Wie sieht dein persönlicher Widerstand aus?

Ich kenne mich mit Computern aus. In erster Linie sammle ich Informationen und erstelle ein Profil über deine Person: Welche Parteien gefallen dir, welche Musik hörst du, wie bist du vernetzt, wer sind deine Freunde? Ich schaue mir die Kommentare der Leute über einen langen Zeitraum an. Und sollte das Profil vermehrt braune Aktivität aufweisen oder Gewalt verherrlichen, dokumentiere ich alles und ziehe ihm persönlich sofort den Stecker.

Was heißt das genau?

Sollte er versucht haben, seine Gesinnung versteckt zu halten, informiere ich neben der Polizei und Staatsanwaltschaft auch sein Umfeld über seine geheimen Aktivitäten. Unter anderem auch mal den Arbeitgeber. Meistens reagiert im Umfeld niemand überrascht. Ihnen fehlt nur der Mut, es öffentlich anzusprechen und zu dem Thema Stellung zu beziehen — etwas zu unternehmen. Nicht immer zu Unrecht, da eben ein großes Gewaltpotenzial besteht. Dafür habe ich Verständnis. Doch untätig zu bleiben wäre falsch.

Nun gibt es allein unter Beiträgen von Zeitungen oder Online-Portalen bei Facebook nicht wenige dieser fremdenfeindlichen Kommentare. Wie kannst du da als Einzelner dagegenhalten?

Alleine gar nicht. Ich bin mit mehreren Pseudonymen in geheimen Gruppen aktiv, in denen Menschen sind wie du und ich. Keiner kennt die wahre Identität des anderen. Auch du könntest in dieser Gruppe aktiv sein und ich wüsste das nicht. Ich muss aber wissen, dass ich jedem Mit-Aktivisten vertrauen kann, dass er seine Recherchen gewissenhaft macht. Welche politische Einstellung er hat, spielt für mich keine Rolle, solange er damit keine Unruhe stiftet.

In diese Gruppen kommt man nicht einfach hinein, nur weil man will...

Richtig, man wird eingeladen. Jemand muss für den Anwärter bürgen, der ihn womöglich überhaupt nicht persönlich kennt. Er muss sich jedoch absolut sicher sein, dass derjenige mit denselben Absichten handelt wie die Gruppe, dass er vertrauenswürdig ist und gewissenhaft recherchiert. Bis diese Sicherheit gegeben ist, wird er beobachtet. So funktioniert Netzaktivismus. Wir bleiben anonym, weil es hierbei nicht um die einzelne Person geht. Es geht um die Gemeinschaft. Unser Hauptziel ist, ein harmonisches "Wir" in unserer Gesellschaft zu erhalten und zu helfen, wo es nötig ist.

Kritiker sehen euch als Menschen, die Richter und Henker sein wollen. Wie urteilt ihr?

In der Gruppe werden alle Recherchen zusammen getragen und versucht, so komisch das klingen mag, sehr fair über die Schicksale der einzelnen Personen zu entscheiden. Uns ist bewusst, dass auch Existenzen zerstört werden können. Deshalb wägen wir alle Möglichkeiten ab und differenzieren zwischen dem gewaltbereiten Neonazi, dem stupiden Rassisten und dem unwissenden Jugendlichen, der gar nicht weiß, was er da schreibt. Bei den beiden Letzteren besteht nur Aufklärungsbedarf.

Was heißt das für euch? Wie reagiert ihr?

Ein 13-Jähriger war uns durch feindliche Kommentare gegen Flüchtlinge aufgefallen. Eine öffentliche Denunzierung ist da nicht angebracht, deshalb haben wir einfach seine Mutter angerufen. Bloß Hausarrest war uns zu wenig: Der Junge sollte daher in ein Flüchtlingsheim und seinen Besuch mit einem Selfie dokumentieren, das neben ihm ein lachendes Flüchtlingskind zeigt. Das tat er auch. Er hat sich mit der eigentlichen Thematik beschäftigt und am Ende gab es mindestens zwei lächelnde Teenager. Leider geht es in den meisten Fällen ernsthafter zu.

Ein anderes Beispiel ist der Fall des Azubis, der aufgrund einer fremdenfeindlichen Äußerung gekündigt wurde. Hätte dort eine Abmahnung nicht gereicht?

Es ist so: Jemand, der nur einmal seinen Frust ablassen möchte, aber sonst keine Gefahr für andere Menschen darstellt, hat nichts zu befürchten. Wer in einem Einwanderungsland mit Ausländern lebt und arbeitet, aber meint, zu einem Gewaltakt aufrufen zu müssen, dem fehlt meiner Meinung nach jegliche Form von Empathie und er hat ein hohes Gewaltpotenzial. Hätte hier eine Abmahnung gereicht? Nein. Hier wurde richtig gehandelt. Hätte es sich um eine kleine Firma gehandelt, hätte ich mir dieselbe Courage gewünscht.

Ist es nicht kontraproduktiv, Rechtsextreme so anzugehen, weil sie sich dann noch versteckter äußern als vorher, und vielleicht noch radikaler?

Natürlich hinterfrage ich mich und mache mir auch Gedanken, was mit einem Menschen passiert, der durch mich seine Arbeit und sein Umfeld verliert. Vielleicht war er ohnehin nicht sozialisiert und zieht sich nun mit rechtem Gedankengut völlig zurück. Hier werden wir auch weiterhin beobachten und versuchen einzugreifen. Letztendlich geht es mir um die Funktionäre, die auf jeder Nazi-Demonstration vertreten sind und sich einen Namen gemacht haben. Diese Leute dienen als Vorbilder für viele andere. Wenn so ein Vorbild durch mich seinen braunen Status und Einfluss verliert, kann ich nachts gut schlafen.

DAS INTERVIEW FÜHRTE CENK CIGDEM

"Im Rausch der Tugend" - Einen Essay unseres Autors Tobias Jochheim zum Thema "Nazi-Jäger im Netz" finden Sie hier.

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