Kolumne "Total Digital" Mit Snapchat zum neuen US-Präsidenten

Düsseldorf · Eine Social-Media-App, die auch vergessen kann: Snapchat erobert derzeit den US-Wahlkampf, und auch in Deutschland wird sich die App bald durchsetzen.

Mit Snapchat zum neuen US-Präsidenten
Foto: dpa, jbu;cse soe tba

Öffentlichkeit ist oft unheimlich. Kürzlich stand ich in einer Warteschlange für einen Kaffee und vertrieb mir die Zeit mit dem Blick auf mein Smartphone. Mit meinem Finger wischte ich durch die neusten Twitter-Meldungen. Dabei erschrak ich: Jemand hatte ein Foto von der Schlange veröffentlicht. Vor mir wartete der Social-Media-Redakteur einer großen US-Nachrichtenagentur. Ich ging zu ihm, und begrüßte ihn mit Namen. Er erschrak ebenfalls. Aber als ich ihm das Foto zeigte, waren wir im Gespräch. Ihn beschäftigte gerade, welches soziale Netzwerk beim US-Präsidentschaftswahlkampf der Schlüssel zum Weißen Haus sein wird. Er war sich sicher: Snapchat. Der nächste US-Präsident wird diese App im Wahlkampf beherrschen müssen.

Snapchat ist spannend. Die App offenbart den großen kulturellen Unterschied, wie Europäer und Amerikaner auf die digitale Transformation reagieren. Mein neuer amerikanischer Freund und ich fremdelten beide mit unserem Treffen in der Realität. Das Foto ist noch heute über Twitter abrufbar. Sowohl in Europa und Amerika wünschen sich viele Menschen einen digitalen Radiergummi. Die Lösungsansätze aus Europa und Amerika könnten aber unterschiedlicher nicht sein. Als Europäer rufen wir die Justiz zur Hilfe. Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Jahr 2014, muss Google nicht mehr relevante und nicht mehr aktuelle Informationen löschen. Amerikaner reagieren auf diese Herausforderung mit Innovation. Es gibt neue Apps und soziale Netzwerke die nicht alles archivieren, sondern vergessen können. Snapchat wurde vor allem deswegen populär, weil Nachrichten nur einmalig angeschaut werden können.

Vor allem Jugendliche nutzen Snapchat obsessiv. Die Zahlen beeindrucken: Das Unternehmen ist 14 Milliarden Euro wert, hat 500 Mitarbeiter, 100 Millionen Nutzer und ein lukratives Kaufangebot von Facebook, welches ausgeschlagen wurde. Negativ-Schlagzeilen wegen Sicherheitslücken und Sexting konnten durch neue Manager gedreht werden. Im US-Wahlkampf ist Snapchat allgegenwärtig. Wichtige Erstwähler erreichen Politiker nicht mehr auf Facebook, sondern auf Snapchat. Republikaner Jeb Bush verbreitete seinen Kampagnenstart auf Snapchat. Mit Kalkül: Millennials, so werden 18-35-Jährige in einer Umfrage bezeichnet, informieren sich über aktuelle Politik zu 61 Prozent über soziale Netzwerke. Nur 37 Prozent über das Fernsehen.

Mein neuer Bekannter aus dem Kaffeehaus hat recht. Der nächste US-Präsident wird sich Snapchat nicht entziehen können. Auch in Deutschland wird die App bald bekannter werden.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor unter kolumne@rheinische-post.de. Sie können ihn auch auf Twitter erreichen. Oder natürlich künftig auch auf Snapchat.

(dafi)
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