Facebook muss Konto Verstorbener nicht freigeben Eine eigenartige Entscheidung

Meinung | Düsseldorf · Ein 15-jähriges Mädchen stirbt und die Mutter darf nicht auf sein Facebook-Konto zugreifen. Das hat das Kammergericht Berlin entschieden. Es hätte anders urteilen können – und sollen.

 Die Nahaufnahme des Logos des sozialen Netzwerks Facebook (Symbolfoto).

Die Nahaufnahme des Logos des sozialen Netzwerks Facebook (Symbolfoto).

Foto: dpa, bra sab fdt

Ein 15-jähriges Mädchen stirbt und die Mutter darf nicht auf sein Facebook-Konto zugreifen. Das hat das Kammergericht Berlin entschieden. Es hätte anders urteilen können — und sollen.

Es könnte alles so einfach sein. Man stelle sich doch nur einmal vor, die Mutter des verstorbenen Mädchens hätte unter dessen Bett einen Wäschekorb mit Briefen und Tagebüchern gefunden. Sie hätte dann losstöbern können, lesen, wühlen. Und sie hätte möglicherweise Hinweise gewonnen, warum ihre Tochter im Alter von 15 Jahren in einem Berliner U-Bahnhof von einem Zug erfasst wurde.

Das tote Mädchen aber hat keine Briefe geschrieben und auch kein Tagebuch. Es kommunizierte, wie 15-Jährige das heute tun, über soziale Netzwerke wie Facebook. Und eben diese Kommunikation dort darf die Mutter nicht einsehen. Facebook, ausgerechnet Facebook, beruft sich auf Datenschutz. Und das Kammergericht Berlin, also das Oberlandesgericht, gab dem irischen Ableger des Unternehmens nun Recht.

Es ist eine eigenartige Entscheidung. In diesem Fall bilden Rechtsnormen die Grundlage, die entwickelt wurden, als noch niemand an das Internet dachte. Das Erbrecht etwa ist mehr als 100 Jahre alt, das deutsche Grundgesetz mit dem Fernmeldegeheimnis knappe 70. Was man in Briefen schreibt, ist heilig und geht niemanden etwas an, sagt dieses Geheimnis. Und das Erbrecht sagt: Der Erbe darf das trotzdem lesen, die Briefe gehören ihm nach dem Tod.

Schon früher hat man entschieden, dass eine E-Mail wie ein Brief ist, rechtlich betrachtet. Sie hat also denselben Schutz. Eigenartig ist die Berliner Entscheidung nun deshalb, weil der Schutz des Facebook-Kontos über den eines Briefes weit hinausgeht. Es ist der Mutter nicht zuzumuten, nicht wissen zu dürfen, was ihre Tochter dort getrieben hat. Ihre Ungewissheit mit dem Datenschutz derer zu begründen, die mit ihrer Tochter geschrieben haben, ist absurd. Einem Briefschreiber gibt der Erbe den Brief auch nicht wieder zurück.

Es ist also zu hoffen, dass in nächster Instanz der Bundesgerichtshof und danach vielleicht sogar das Bundesverfassungsgericht anders entscheiden werden. Sie müssen anerkennen, dass auch das digitale Erbe zum Gesamterbe gehört. Und eine Konversation bei Facebook nicht anders behandelt werden kann als ein Brief im Wäschekorb unterm Bett.

(her)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort